Die verschwundene Frau
Thornfield Demesne erreichte, war mir klar, dass der Wagen sich nicht für die Observation eignete, denn er hob sich auffällig von den Range Rovers und anderen Gefährten mit Allradantrieb ab, die offenbar nötig waren, um die gefährliche Strecke zwischen heimatlichem Anwesen und Shopping Center zu bewältigen. Außerdem konnte man seinen Wagen auf den baumbestandenen, kurvigen Straßen vor den riesigen Grundstücken nicht einfach abstellen. Der Eingang zu der Siedlung wurde von einem Wachhäuschen geschützt, das sich seinerzeit gut an der Berliner Mauer gemacht hätte. Überdies fuhr in regelmäßigen Zeitabständen der Wagen eines privaten Sicherheitsdienstes - wahrscheinlich von Carnifice - herum, um Pöbel wie mich wieder über die Grenze zurückzuschicken.
Ich lenkte den Skylark zu einer etwa fünfzehn Meter vorn Eingang entfernten Biegung und holte meine Straßenkarten heraus. Einmal würde ich dem Wächter vermutlich weismachen können, dass ich mich verfahren hatte. Die Karten vor mir auf dem Lenkrad ausgebreitet, versuchte ich, das Fernglas einzusetzen, konnte aber nur Bäume und Blätter sehen. Wenn ich hier ernsthaft Beobachtungen anstellen wollte, musste ich mir ein Pferd oder ein Fahrrad besorgen. Ich wollte gerade zum nächstgelegenen Einkaufszentrum fahren, um mir ein Fahrrad zu kaufen, als sich die Tore zu der Siedlung öffneten und der Mercedes Geländewagen mit dem GLOBAL-2-Nummernschild herausschoss.
Ich wendete den Skylark so elegant es ging und folgte dem Geländewagen unauffällig. Sobald wir uns auf der Hauptstraße befanden, ließ ich ein paar Wagen zwischen mein Auto und Abigails. Zu meiner Erleichterung fuhr sie am Oak Brook Shopping Center vorbei - ich hätte keine Ahnung gehabt, wie ich dort ein zufälliges Treffen hätte herbeiführen sollen. Wir waren bereits ein paar Kilometer in südlicher Richtung unterwegs, als der Mercedes bei einem Schild mit der Aufschrift »Leafy Vale Stables« abbog.
Zum Glück lag das belaubte Tal auf der anderen Seite der Ställe und des Hauses; ich konnte den Mercedes von der Straße aus ganz deutlich sehen. Ich hielt an und beobachtete, wie das kleine Mädchen, das ich schon am Pool der Baladines gesehen hatte, auf der Beifahrerseite aus dem Wagen sprang. Auch Abigail Trant stieg aus und begleitete die Kleine zu einem der Gebäude. Rhiannon trug Reitkleidung, die Mutter knielange Shorts und dazu ein enges Top. Abigail schien einer Frau Anweisungen zu geben, die den Kopf voller Respekt ein wenig schräg legte. Dann gab Abigail ihrer Tochter einen Kuss und kletterte wieder in ihren Geländewagen. Ich lenkte den Wagen zum Straßenrand, wo ich bei Bedarf wenden konnte. Der Mercedes setzte sich in Richtung Oak Brook in Bewegung.
Sie wollte tatsächlich zum Shopping Center. Ein zwangloses Gespräch über eine Lebensmitteltheke hinweg hätte ich mir noch vorstellen können, aber in dem exklusiven Friseursalon, auf den sie zustrebte, war das eine andere Sache. Ich stellte den Wagen in gehörigem Abstand hinter ihrem Mercedes auf der Ostseite des Einkaufszentrums ab und ging ihr nach zum Parruca Salon. Die innen mit rotem Leder verkleidete Doppeltür öffnete sich für Abigail Trant. Der Türsteher begrüßte sie mit Namen. Die Tür schloss sich wieder, wahrend sie sich - ganz große Dame - nach seinem Befinden erkundigte.
Wenn ich nicht gerade behauptete, die neue Shampooneuse zu sein, konnte ich ihr kaum folgen. Ich fragte mich, wie lange die Prozedur wohl dauern würde. Mit Sicherheit so lange, dass ich mich auf die Suche nach einer Toilette und einem großen Glas Eistee machen konnte.
Eine halbe Stunde später kehrte ich zurück und wartete mit meiner Zeitung vor der Tür. Es gab keine Sitzplätze, weil Menschen sich normalerweise nicht vor einem Einkaufszentrum aufhielten, sondern darin, um zu konsumieren. Je höher die Sonne am Himmel stieg, desto schmaler wurde der Schatten, den die Gebäude warfen. Ich drückte mich gegen die Steinmauer, die den Parruca Salon von dem benachbarten Laden für Sportmode trennte, und versuchte, mich auf die Probleme im Kosovo zu konzentrieren.
Teenager schwärmten an mir vorbei und unterhielten sich über Frisuren, Kleidung, Jungs, Mädchen. Einsame Menschen marschierten mit grimmigem Gesicht in das Zentrum, als sei das Einkaufen eine beschwerliche Last. Hin und wieder öffneten sich die roten Ledertüren des Parruca Salons, um eine Kundin hinein- oder herauszulassen. Als meine Bluse schließlich so durchgeschwitzt war,
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