Die verschwundene Frau
Strohmann.«
»Vic, wir kennen uns doch. Und Murray ist mein Zeuge.«
»Soso, dann berufen wir uns also jetzt auf unsere gemeinsame Vergangenheit und stimmen nostalgische Kampflieder an, um uns gegenseitig unsere Loyalität zu beweisen? Wir haben in der South Side von Chicago Jura studiert, nicht in Eton. Vielleicht hat die South Side auf mich mehr Eindruck gemacht als die Jura, aber eins hat Professor Carmichael mir beigebracht: Bei einer geschäftlichen Abmachung muss es einen schriftlichen Vertrag geben.«
Ihr breiter Mund wurde zu einer schmalen Linie, aber schließlich sagte sie: »Überleg dir's. Ich rufe dich dann morgen früh an.«
»So schnell werde ich mich nicht entscheiden können. Ich habe noch ein paar wichtige Projekte abzuschließen, bevor ich mich eurem Fall zuwenden kann. Deshalb bin ich auch heute, am Samstag, im Büro. Was hat dich übrigens hier hergeführt, Murray? Du hast doch wohl nicht erwartet, mich hier anzutreffen, oder?«
Alex antwortete für ihn. »Ach, wir sind zuerst zu deiner Wohnung gefahren, aber der alte Mann hat uns gesagt, dass du hier bist. Ich rufe dich morgen an.«
»Ich bin ja gespannt, wie Mr. Contreras dich beschreiben wird. Murray wird dir bestätigen können, dass seine Beschreibungen immer ziemlich lebhaft und ausführlich sind.«
Warum nur musste ich jedesmal aggressiv werden, wenn mich jemand aus der Ruhe brachte? fragte ich mich und rief Murray nach, der gerade Alex-Sandy durch die Tür folgte. »Hast du dir die Geschichte im Justin's oder im Filigree ausgedacht?«
Er drehte sich mit hochgezogener Augenbraue zu mir um. »Soll das heißen, dass du eifersüchtig bist, Warshawski?«
Familienpicknick
Ich starrte den Computer eine ganze Weile an, konnte aber keine rechte Begeisterung für das Georgia-Projekt aufbringen. Murrays letzte Bemerkung wurmte mich. Was bedeutete, dass möglicherweise etwas Wahres dran war. Nicht, dass ich auf die Frauen, mit denen er ausging, tanzte oder schlief, eifersüchtig gewesen wäre. Aber wir hatten so viele Jahre zusammengearbeitet, dass wir die Witzchen und Gewohnheiten des anderen genau kannten. Da tat es weh zu sehen, dass die Kommunikation zwischen ihm und einer Frau wie Alex Fisher-Fishbein besser funktionierte als die zwischen ihm und mir. Schließlich hatte ich Charakter. Und sie hatte bloß Macht, Geld und Glamour.
Murray war ein Vertreter des investigativen Journalismus. Er hatte die gleichen Quellen wie ich - manchmal sogar bessere -, mit deren Hilfe er nicht ganz koschere Informationen über städtische Unternehmer aufdeckte. Vielleicht wollte er mir mit Frenada die Chance geben, ein hübsches Sümmchen zu verdienen. Möglicherweise hatte er auch ein schlechtes Gewissen, weil er sich an Global verkauft hatte. Nun, vielleicht sollte ich dankbar sein, aber ich konnte mir nicht helfen, mir war irgendwie übel.
Die Tatsache, dass Alex zu mir gekommen war, statt sich an den Sicherheitsdienst des Senders zu wenden, ergab Sinn, aber nicht genug. Während des kurzen Gesprächs, das ich im Golden Glow mit Frenada geführt hatte, war er mir angenehm und sympathisch erschienen, alles andere als aufdringlich. Andererseits las man die ganze Zeit von Massenmördern, die die Nachbarn für ganz ruhig und normal gehalten hatten. Und außerdem hatte ich selbst gesehen, wie Frenada Lacey mitten im Golden Glow angesprochen hatte. Wenn er tatsächlich gefährlich war, ging Alex ziemlich unbekümmert mit potentiellen Gefahren für Lacey um. Und wenn nicht, hatte Global vor, mich ganz schön in die Scheiße zu reiten.
Frenada hatte auf der Party gesagt, ich könne ihm vielleicht helfen - in seinem Büro passiere etwas Merkwürdiges. Meine eigenen Erlebnisse mit Nicola Aguinaldo hatten mich das Gespräch mit ihm fast völlig vergessen lassen. Jetzt fragte ich mich, ob Global möglicherweise schon etwas unternommen hatte, um ihn in Misskredit zu bringen. Und wenn er davon Wind bekommen hatte und Global davon wusste, versuchte Alex unter Umständen, mich als neue Größe ins Spiel zu schmuggeln.
Ich loggte mich bei LifeStory ein und forderte Informationen über Frenada an, nicht etwa, weil ich bereits beschlossen hatte, den Auftrag zu übernehmen, sondern weil ich etwas über das Umfeld des Mannes erfahren wollte. Um ihn besser zu verstehen, wäre es natürlich sinnvoller gewesen, mich mit den Leuten zu unterhalten, die ihn kannten, aber ich hatte einfach nicht die Zeit, mit seinen Angestellten oder seinem Beichtvater oder seinen Nachbarn
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