Die verschwundene Lady (German Edition)
eine gute Idee. Stevens. Ich rufe gleich im Museum an und mache einen Termin für Miss Carmichael.«
Stevens, der Aktenknecht, schlurfte hinaus. Anne fragte sich, wie man so leben konnte, Tag für Tag mit der Nase in den Akten und Paragraphen vergraben, einem endlosen Schriftwechsel ausgesetzt. Die Klienten und Fälle wechselten, die Materie blieb gleich. Doch das Leben bestand nun einmal zum größten Teil aus Routine und Gewöhnung.
Das hatte Anne auch schon gemerkt. Stanwell ging ans Telefon. Er rief das Museum am Montague Place an und verlangte den Kustos. Von dessen Vorzimmer wurde er weiterverbunden. Anwalt Stanwell sprach zunächst mit einem Assistenten, dann mit Professor Dr. Dr. Horace Trelawney.
»Jawohl, Sir. - Jawohl. - Äußerst dringend, jawohl. - Ich wäre Ihnen sehr verbunden. Sie wird ...« - Stanwell schaute auf seine Uhr - » .. .um spätestens siebzehn Uhr bei Ihnen sein. Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Professor. - Ja, ein persönliches Interesse. - Meine besten Empfehlungen.«
Der Notar und Anwalt legte auf und wandte sich an Anne.
»Professor Trelawney erwartet dich. Sei nicht überrascht, wenn du ihn siehst. Er ist ein wenig merkwürdig, aber die größte lebende Kapazität auf seinem Gebiet.«
»Das will ich doch hoffen«, sagte Anne. »Mit den Toten kann ich nämlich nichts anfangen.«
3. Kapitel
Peter Stanwell hatte für Anne ein Taxi bestellt. Um zum Britischen Museum zu gelangen, musste sie quer durch London. Im Stop-and-go-Verkehr quälte sich das Taxi durch den zähflüssigen Verkehrsbrei der Rushhour . Es nieselte, wie so oft in London.
Nach anderthalbstündiger Fahrt hielt das Taxi vor dem imposanten, im Karree angeordneten Block mit der großen Kuppel. Anne bezahlte, stieg aus und die breiten Stufen empor. Zahllose Tauben, eine wahre Plage, saßen auf den Wandverzierungen und Dächern des viktorianischen Bauwerks und verkleckerten es mit ihren ätzenden Exkrementen.
Wenn jedoch mal Maßnahmen auch nur angekündigt wurden, die Taubenschar zu verringern, erfolgte ein Aufschrei der Empörung von sämtlichen Tierfreunden. Eher hätten die Tauben das gesamte Empire unter ihren Exkrementen begraben können, als dass man gegen sie vorgegangen wäre.
Das Hauptportal war verschlossen. Anne fand eine Seitenpforte, in der ein Pförtner in seiner Loge saß, Butterbrot aß und die »Daily News« las. Er rief auf Annes Drängen hin in der Heraldik-Abteilung im Westflügel an, erhielt Bescheid und schloss Anne umständlich auf.
Ebenso umständlich erklärte er ihr den Weg.
»Zunächst kommen Sie zu der Sammlung assyrischer Skulpturen im vierten Stock. Da sollen Sie nicht hin. Bei den ägyptischen Mumien, wo Sie dann hingelangen, biegen Sie nach rechts zu den hebräischen Schriftrollen ab, dann die Treppe hoch, durch die keltischen Ausgrabungen, und dann scharf rechts. Da sind Sie dann richtig. Falls Sie den Professor nicht gleich sehen, rufen Sie laut oder schlagen Sie mit der Streitaxt gegen den Schild.«
Anne schaute ihn völlig verblüfft an.
»Das ist so ein hausinte rn er Brauch bei uns«, erläuterte ihr der Pförtner. »Da hängt ein Schild an der Wand bei den Rüstungen und alten Waffen, daneben ein Handbeil. Wenn Sie damit schlagen, gibt es einen metallischen Klang. Den hört der Professor. Sie müssen natürlich mit der flachen Seite des Beils schlagen.«
»Ist das denn keine Sachbeschädigung?«
»Ach wo. Wir haben hier soviel von den Dingern. Im Keller stapeln sie sich. Das ist ein minder wertvolles Stück. Wenn es etliche Turniere und Schlachten ausgehalten hat, kriegen Sie es auch nicht kaputt.«
Anne bedankte sich bei dem Pförtner, der sich wieder der Zeitung und seinem Brot zuwandte. Anne fuhr mit dem Aufzug hinauf und ging durch die langen, verlassenen Korridore. Sie war verschiedentlich im Britischen Museum gewesen. Hier konnte man sich verlaufen. Die Leere war ungewohnt. Sonst liefen hier Schulklassen und Scharen meist ausländischer Besucher herum.
Anne bog, wie ihr gesagt worden war, bei den Mumien rechts ab, also bei der Altägyptischen Abteilung II b, und erreichte bald die im Hintergrund gelegene Heraldik-Abteilung. Im Vorraum standen Rüstungen in einem hohen, mit Eichenholz getäfelten Saal, waren Waffen aus der Ritterzeit ausgestellt und gab es Ausstellungsstücke auf Tischen unter Glas und in Standvitrinen. Anne bewunderte die Rüstung eines vierschrötigen Recken, der laut der Inschrift ein berüchtigter Raubritter und der Schrecken von
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