Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
von mehr als einem Jahrzehnt. Mit langen Interviews und Fragebögen hat sie die erotischen Vorlieben Hunderter Frauen verfolgt, die sich zu Anfang entweder als lesbisch oder bisexuell bezeichneten oder jegliche diesbezügliche Festlegung verweigerten. Aus der Analyse ihrer vielen Sprünge zwischen sexuellen Identitäten und aus den detaillierten Beschreibungen ihres Sexuallebens schloss Diamond, dass die Ausrichtung weiblichen Verlangens letztlich unklar, also »flieÃend« ist. Nach der Veröffentlichung des Buchs begann Diamond, Daten hete ro sexueller Frauen zu sammeln, die diese Argumentation bestätigten und ihre Belege deutlicher wirken lieÃen als Probandinnen, deren Sexualität von vorneherein weniger festgelegt zu sein schien.
Diamond, die selbst schon lange mit einer Frau zusammen war, behauptete nicht, dass Frauen keine angeborene sexuelle Orientierung besäÃen. Doch sie behauptete, dass weibliches Verlangen â noch stärker als traditionell bereits angenommen â von emotionalen Verstrickungen erzeugt würde. Zuneigung sei sexuell so wirkungsvoll, dass die Orientierung mit Leichtigkeit auÃer Kraft gesetzt werden könne. Trotz des provokativen Buchtitels hätte ihre These in gewisser Hinsicht nicht konventioneller sein können: Nähe bedeutet demnach fast alles.
Trotzdem lauerte noch etwas Unbeabsichtigtes in ihrem Datenmaterial zur flieÃenden Orientierung: Die Frauen blieben nicht bei ein und derselben Person. In gewissen Abständen fingen neue Beziehungen an, und im Reich der sexuellen Fantasien wurde sowieso permanent fremdge gangen. Als ich ihr zwei Jahre nach unserem ersten Tref fen einmal das Dilemma einer Frau erzählte, auf deren Geschichte ich gleich noch zu sprechen kommen werde, meinte Diamond unvermittelt: »In der lesbischen Community wird das Problem der Monogamie immer präsenter. Schwule Männer treffen seit Jahren schon offene Vereinbarungen über Sex auÃerhalb der Partnerschaft. Inzwischen tun das auch immer mehr lesbische Frauen. Es ist interessant, dass Lesben das lieber Polyamorie nennen, wie um Liebe oder Freundschaft zu betonen, anstatt Sex als primäres Motiv gelten zu lassen.« Sie klang fast wie Meana. Hinter der Fassade meinte ich Ungeduld zu spüren. Weiter erzählte sie mir von lesbischen Vorlieben bei nicht-jugendfreiem Material. Vom Unterschied zwischen »feministisch genehmigten Sachen und dem, was einen anmacht«. Sie sprach auch von den zweifelhaften Vermutungen, wonach Frauen in der Pornografie mehr narrativen und emotionalen Gehalt brauchen, während Männer eher visuell und objektivierend funktionieren. »Die Stereotypen von männlich im Gegensatz zu weiblich und vom männlichen Trieb, der viel freizügiger sein soll als der weibliche, scheinen mehr und mehr infrage gestellt.«
Massageöl und eine Augenbinde. Das hatte Isabel gekauft, als sie in der Hoffnung, Erics Berührungen anders zu empfinden, eine Boutique für Sextoys aufsuchte. Calla und Jill waren dagegen bei ihrem Besuch eines ähnlichen Ladens nicht so zurückhaltend gewesen. Einige Monate zuvor hatten sie sich einen doppelendigen Dildo gekauft â langer Schaft, zwei Enden. In der richtigen Position konnten sie sich damit gleichzeitig penetrieren.
Im Folgenden möchte ich vier Geschichten von Verbindungen, von Treue und deren Grenzen erzählen:
1
»Jill denkt eher in Schwarz-WeiÃ-Kategorien als ich«, sagte Calla über ihre Partnerin. »Von ihrer Persönlichkeit her ist sie eine Enthusiastin. Sie ist streitlustig. Für sie gibt es nur Entweder-oder. Ich glaube, Bindung ist etwas, das ihr dem Wesen nach liegt. Einmal, irgendwann im zweiten Jahr unserer Beziehung, gingen wir auf der StraÃe, genau genommen eine Treppe in Queen Anne Hill hinunter, wo dieser dichte Efeu wächst â und plötzlich fing ich an zu weinen. Ich erklärte ihr, dass ich noch nie so bedingungslose Liebe empfunden hätte.«
So sah sie also die Frau, die sie vier Jahre zuvor in einer lesbischen Bar kennengelernt hatte und mit der sie nun seit über einem Jahr zusammenlebte. Dieser Ausdruck, die »so bedingungslose Liebe«, sollte mir wieder einfallen, als ich mich das nächste Mal mit Meana unterhielt und sie mir von einem Versuch berichtete, den sie nur mit einigen ihrer Paare unternommen hatte.
Die Bar hatte zwei Stockwerke. Als ihre Blicke sich aus der Ferne trafen â Jill stand
Weitere Kostenlose Bücher