Die Versteckte Stadt: Thriller
die Beine eingeknickt, den Bauch auf den Boden gepresst, in den Augen ein Schimmer von Unterwürfigkeit oder Furcht. Dabei trug der Mann einen Zwicker auf der Nase und einen altmodischen Bart, der nur Backen und Kinn bedeckte, was Max unwillkürlich an Aufnahmen seiner Vorfahren erinnerte, an Bilder seiner Urgroßeltern, die seine Mutter ihm einmal gezeigt hatte.
Er zuckte zusammen. Till hatte seinen Arm gepackt.
„Was … “
Als Max‘ Blick den von Till traf, verstummte er. Till hatte den Zeigefinger seiner rechten Hand auf die Lippen gepresst, seine Augen funkelten. Im gleichen Moment hörte auch Max es. Ein Klappern, Pochen – nein, Schritte! Jemand kam die Treppe herunter!
Sein Blick schnellte zur Tür. Sie stand offen! Und es gab nichts, wohinter sie sich hätten verstecken können.
„Und jetzt?“ Die Worte flogen wie winzige Vögelchen aus seinem Mund. Er hatte sie kaum gehaucht, aber es kam ihn so vor, als würde der ganze Keller davon widerhallen.
Blitzartig nickte Till mit dem Kopf zu der Tür. Rausstürzen? Dafür blieb ihnen doch keine Zeit! Aber bevor Max einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte Till ihn schon gepackt und hinter die Tür des Zimmers gezogen, die sich nach innen öffnete.
Max presste sich an die Wand, gegen die Till ihn geschoben hatte, sein Auge kam vor die Lücke zu liegen, durch die man zwischen dem oberen und dem unteren Scharnier in den matt erleuchteten Kellerflur schauen konnte - genau auf die Treppe, die in den Keller hinabführte. Aber dort war niemand! Doch die Schritte waren noch immer zu hören!
Entsetzt drehte sich Max zu Till um. Wessen Schritte waren das? Im gleichen Moment zog ein Gedanke durch seinen Kopf, der so aberwitzig, so irrsinnig war, dass er spürte, wie es ihn förmlich schüttelte. War es ein Gespenst, ein unsichtbarer Geist – der die Treppe hinunterschwebte und zugleich sie mit seinen Schritten erschreckte, weil er natürlich wusste, dass sie hier unten waren, weil er sich einen Spaß mit ihnen machen wollte?
Wieder presste Max das Gesicht an die Lücke, um nach draußen zu spähen, darauf gefasst ein Wesen von diffuser Gestalt zu erblicken, einen Rauch, einen Nebel …
Da wurde ihm plötzlich klar, dass die Schritte, die sie hörten, nicht von der Treppe her kamen, sondern aus dem Raum NEBEN ihnen!
Gleichzeitig brach das Geräusch ab. Max hielt die Luft an.
„Woher kommen die Schritte?“, flüsterte er – und merkte erst jetzt, dass er sich an Tills Arm geklammert hatte.
Till nickte mit dem Kopf zu der Wand. Aus dem Nebenraum! Aber dort war doch keine Treppe gewesen!
Ein Klappern – ein Knall. Ein Schaben, Quietschen, als würde eine Tür aufgestoßen, dann erneutes Klappern. Wieder Schritte, diesmal deutlicher, dicht bei ihnen – und hell. Das waren nicht die Schritte eines Geistes, nicht die eines Mannes - es waren die Schritte einer Frau!
Im gleichen Augenblick sah Max sie. Sie trug ein gestreiftes Sommerkleid, ihre offenen Haare flossen über ihre Schultern. Sie war ein wenig kleiner als seine Mutter, und jünger, ihr Gang war federnd, fast wirkte es, als würde sie am liebsten hüpfen. Schon griff sie nach dem Treppengeländer und Max sah ihre zierliche Hand, an deren kleinem Finger ein goldener Ring aufblitzte. Dann kamen ihre Füße in sein Blickfeld, die in einfachen, schwarzen Pumps steckten, die Absätze nicht wirklich hoch und doch wohl akzentuiert. Beinahe sahen sie aus wie Trichter, die auf einen winzigen Punkt zuliefen, dessen Berührung mit den Betonstufen das hell klackernde Geräusch verursachte. Ein Fußkettchen - das war alles, was Max noch sah, dann war sie aus seinem Blickfeld verschwunden. Er hörte die obere Kellertür klappen, entfernter ihre Schritte im Erdgeschoss des Gartenhauses, die Haustür – Stille.
Minutenlang verharrten sie hinter der Tür. Würde gleich noch jemand kommen? Aber es blieb alles ruhig.
„Lass uns nachsehen“, sagte Till schließlich und löste sich aus der Nische.
Max nickte und folgte ihm auf den Flur. Der feine Hauch eines frischen Duftes hing jetzt darin, hatte sich über den erdigen Geruch des Kellers gesenkt. Ein Duft, der nur von der jungen Frau gekommen sein konnte und der bewirkte, dass an die Stelle der Überraschung, des Schreckens, der Max gepackt hatte, ein anderes Gefühl trat, ein Gefühl der Bangigkeit, des Versprechens, des Es-nicht-mehr-erwarten-Könnens, das er schon ein paarmal in seinem Leben verspürt hatte, von dem er zwar nicht genau einschätzen konnte,
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