Die Versteckte Stadt: Thriller
Julia zwang sich dazu, jedes Flimmern der Stimme zu unterdrücken, merkte aber selbst, wie flach, dünn und kurzatmig sie klang.
Xaver zog sich einen Stuhl heran, setzte sich neben sie und legte seine Hand - die ihr für einen Moment wie der Körper einer großen Spinne mit fünf nackten Beinen vorkam - auf ihren Arm.
„Ich habe mit dieser Frau nichts. Du musst mir glauben. Sie hat etwas geholt. Ein Manuskript. Es ist vielleicht übertrieben, aber ich mag die Texte nicht der Post anvertrauen. Sie hat es zu Felix gebracht. Okay?“
‚Warum fragt er, ob es okay ist?‘ Es klang in Julias Ohren, als wollte er hören, ob sie mit dieser Version einverstanden wäre.
„Ein Bote?“ Sie zog ihren Arm weg. Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. „Lüg mich nicht an.“
Es war, als krabbelte die Spinne auf sie zurück, als seine Hand sich erneut auf sie legte. „Julia, du musst mir vertrauen. Ich kann dir noch nicht alles sagen, es ist noch zu früh. Es hat mit unserer Familie nichts zu tun.“
Und wenn es stimmt?
„Es ist die Arbeit bei Felix“, fuhr Xaver fort. „Was er vorhat ist Irrsinn, es ist aberwitzig - aber es ist auch ungeheuer faszinierend. An einem solchen Projekt habe ich noch nie teilgenommen. Es ist … “ - sie sah, wie Xavers Blick abschweifte - „ … eine einmalige Chance. Ich kann daran nicht vorbeigehen.“
Sein Blick heftete sich wieder auf ihr Gesicht. „Es macht mir Angst, Julia. Felix fordert alles von mir. Jede Idee, die ich jemals hatte, jeden Trick, den ich jemals beherrscht habe, jeden Augenblick meiner Zeit, jeden möglichen Gedanken, er saugt es auf. Er ist wie ein Schwamm, er will alles haben, er hat für alles einen Platz in seinem System. Und er braucht es - das ist nicht bloß aufgesetzt - er braucht es wirklich. Weil das, was er vorhat, so übergroß ist, so gewaltig, so verstörend.“
Xaver holte Luft. So hatte sie ihn noch nie sprechen hören. Sie spürte, wie sich der Druck seiner Hand verstärkte.
„Er nimmt meine Sachen und operiert sie um, Julia.“ Xavers Stimme klang plötzlich rau und belegt. „Meine Texte sind wie Lebewesen, aber das ist ihm egal. Er amputiert hier ein Bein, dort ein Ohr, er setzt das Bein übers Auge, näht das Ohr an die Fußsohle. Wenn ich die Sachen zurückbekomme, ist aus meinem Geschöpf ein Monster geworden. Aber weißt du, was das Schrecklichste ist? Dass ich erkennen kann, was er damit vorhat! Es ist eine andere Vorstellung von Schönheit, die ihn leitet, verstehst du? Wenn ich mit seinem Blick schaue, dann erkenne auch ich die Schönheit in den Kreaturen, die er aus meinen Geschöpfen macht. Und das ist es, was er erreichen will. Er zwingt mich, mit seinen Augen meine eigenen Sachen zu sehen. Er lässt mich die Texte umschreiben. Einmal, zweimal, zehnmal, dreitausendmal. Bis die Worte all ihren Sinn verlieren. Bis aus den Figuren, die ich mir ausgedacht habe, seelenlose Höllengestalten geworden sind, die einem Angst einjagen. Nein, sie lassen einen nicht kalt. Felix ist geschickt. Er tötet sie nicht etwa und lässt sie dann als Leichen am Wegesrand liegen! Er nimmt sie und baut sie um. Er verschiebt die Beziehungen zwischen ihnen, macht aus einer ausgewogenen Gruppe, der zuzusehen mein Herz erfreut hat, einen Clan, der mich zu tiefst erschreckt. Weil ich in den Figuren noch immer die Züge erkenne, die ich ihnen gegeben habe. Er nimmt die Lebendigkeit, die ich ihnen eingeimpft habe, und wandelt sie um in entsetzliche Grimassen. Und dann zwingt er mich, darauf zu schauen und zu erkennen, dass sie erst jetzt wirklich schön sind. Von einer grausigen Schönheit, die nichts mehr mit der Lieblichkeit zu tun hat, die mich ursprünglich bezaubert hat. Und schließlich will er von mir wissen, ob ich nicht auch sehen würde, wieviel großartiger die grausige Schönheit ist, wie viel erhabener, wieviel stolzer, als das Hübsche, Verkitschte, das ich zuerst hineingelegt hatte.“
Julia fühlte, wie Xavers Hand kalt geworden war, als würde bei dem Gedanken an Felix das Blut daraus zurückfließen.
„Er hat etwas vor mit meinen Texten, mit dem, was er daraus gemacht hat, Julia. Auch wenn ich es zuerst niemals für möglich gehalten hätte, dass ich so denken könnte wie er - inzwischen verstehe ich, was er meint, sehe ich, was er sieht … “, er beugte sich vor sie, so dass sein Atem ihr ins Gesicht wehte, „ … will ich, was er will. “
2
Till hatte das Gefühl, gerade eingeschlafen zu sein, als er spürte, wie
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