Die Versteckte Stadt: Thriller
hatte, schauderte Lisa erst recht vor der Ungeheuerlichkeit. Und doch huschte ihr auch noch ein anderer Gedanke, eine andere Empfindung durch den Kopf. Dass sie nämlich trotz allem nicht das Gefühl hatte, sich in Till zu täuschen. Auch wenn sie ihn erst seit ein paar Wochen kannte, war sie sich sicher, dass Till in Ordnung war. Sie vertraute ihm – auch wenn es im Moment überhaupt nicht so aussah, als wäre das gerechtfertigt. Dennoch tat sie es. Und deshalb ging ihr auch die Frage durch den Kopf, ob es möglicherweise einen guten Grund für sein Schweigen geben könnte. Ob es möglicherweise richtig war, dass er schwieg, auch wenn es so schien , als würde er Max‘ Gesundheit damit gefährden.
4
Als Max aus dem Schlaf schreckte, stand er vor ihm. Ein schwarzer, hoch aufragender Schatten. Der Himmel vor dem Fenster war noch blau, dunkelblau, alles andere aber - die Bäume hinter den Scheiben, der Tisch in dem Zimmer und eben der Mann, der an seinem Bett stand – war schwarz. Max kam sich unendlich klein vor, schutzlos, wie eine Schnecke, die man aus ihrem Haus gezogen hat. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach, aber seine Haut war eiskalt.
„Geht’s dir denn ein bisschen besser?“, hörte er seinen Vater fragen und die Stimme war weich, angenehm, unendlich vertraut.
Max stieß die Füße in die Matratze und drückte sich an der Wand hoch. „Ja, geht schon“, hörte er sich sagen, die Stimme ein wenig brüchig aber deutlich. ‚Bleib mir vom Leib‘, schrie es in ihm, als er sah, wie sein Vater sich vorbeugte - dann ging die Nachttischlampe an. Das blasse hagere Gesicht erschien im Lichtkegel. Bentheim setzte sich auf den Stuhl, auf dem Lisa vorhin gesessen hatte. In der Hand hielt er ein kleines Tablett, auf dem ein tiefer Teller stand.
„Mama hat gesagt, ich soll dir ein bisschen Brühe bringen“, meinte er und stellte das Tablett auf Max‘ Beine. „Geht das so? Oder willst du doch runter kommen, am Tisch sitzen?“
Max griff nach dem Tablett und hielt es fest. Obwohl er begeistert gewesen wäre, wenn er jetzt nicht mit seinem Vater hätte allein sein müssen, grauste ihm davor, sich einen Morgenmantel überzuziehen und nach unten zu gehen. Weil an Stelle seiner Beine ein paar Radiergummis an seine Hüften geschraubt zu sein schienen.
„Nee, is gut … “ Er griff nach dem Löffel. Sein Vater blieb sitzen. „Du brauchst nicht hier zu bleiben, ich komm schon klar“, sagte Max.
Aber sein Vater schien noch ein wenig bleiben zu wollen. „Weißt du, ich habe mich gefragt, ob ich in letzter Zeit vielleicht ein bisschen zu streng war.“ Er sah ihn an. „Das hat auch mit dem Buch zu tun, es will nicht so vorangehen, wie ich es gern hätte, da ist man nervös … “ Er nickte und schaute zu Max, wie um dessen Reaktion abzuwarten.
Max löffelte. Dazu gab es nichts zu sagen.
„Es tut mir leid, wenn ich was falsch gemacht habe, Max“, hörte er seinen Vater weitersprechen. Und wieder wollte Max, dass es in ihm schrie ‚Lass mich bloß in Ruhe‘, aber diesmal wollte es nicht recht gelingen. Es war, als würde die nur zu vertraute Stimme seines Vaters, der jetzt ein wenig gebeugt neben ihm am Bett saß, all seine Vorsicht einlullen.
„Ist denn sonst noch was passiert … ich meine … wir alle fragen uns, warum es dir nicht so gut geht, Junge.“ Die blauen Augen ruhten auf Max. Sah er ein Lauern hinter den Pupillen? Er durfte sich jetzt nicht aufs Glatteis führen lassen – er musste aufpassen - AUFPASSEN!
Die Anstrengung, das Tablett mit der Suppe auf den Knien zu balancieren, die Anspannung durch die Anwesenheit seines Vaters, die innere Stimme, die ihn fast um den Verstand brachte, das Bemühen sich nichts anmerken zu lassen – all das war fast zuviel für Max. Er spürte, wie seine Knie zu zittern anfingen – nur keine Suppe verschütten – er durfte sich nichts anmerken lassen -
„Trimborn ist sich auch nicht richtig klar darüber, was mit dir los ist. Er sagt Überanstrengung … aber wovon denn … mitten in den Ferien.“ Scheinwerfer-Augen direkt auf ihn gerichtet. Max schluckte – und hustete. Der Schweiß rann seine Achseln herunter, er spürte, wie das Fieber stieg.
„Deshalb meine ich, ob in den letzten Tagen etwas passiert ist.“
„Nö.“ Kurz und knapp.
„Verschweigst du mir was, Max?“ War da ein bedrohlicher Unterton oder war es einfach nur die Sorge des Vaters?
„Nein! Wieso denn?“ Max holte Luft. War er schon wieder dabei, zu winseln,
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