Die Versteckte Stadt: Thriller
gedrückt hatten, sanken mit, diejenigen aber, die dahinter geschoben hatten, fingen sich, traten auf ihre Vordermänner. Till sah ihre erdverkrusteten Schuhe auf die Köpfe der am Boden Liegenden stapfen, dann taumelten sie über Rasen der Bentheims, die Köpfe noch immer gesenkt, jetzt jedoch näher, vom Mond beleuchtet. Ein Schwarm schmutzig schwarzer Wesen, lautlos, nur mit den Füßen über das Gras bürstend, in der Vorwärtsbewegung anscheinend unhaltbar - und unbeirrt auf das Haus zuhaltend. Schon zogen sie unter dem Balkon durch, auf dem Till stand. Er hörte sie gegen die Fensterläden torkeln, die an der Mauer darunter angebracht waren, er hörte, wie das Holz gegen die Wand gedrückt wurde, wie die Fenster unter dem Druck ächzten, er hörte, wie sich schwielige Hände an den Stangen festhielten, die den Balkon trugen. Und spürte, wie der Eisblock, in dem er gefangen war, sich immer mehr zusammenzog.
Dann zersprang es - das Fenster unter ihm, eingedrückt von der Horde, und zugleich zersprang es hier oben - das Eis, das ihn umschloss - ihn endlich freigebend, die Starre zerfetzend, in die er sich hatte treiben lassen. Till wirbelte herum - mehr ahnend als sehend, dass die ersten Gestalten bereits an den Stangen empor klettern mussten - herum zu dem Zimmer, in dem Max noch schlief. Er stürzte durch die Balkontür an das Bett des Freundes, wollte ihn wecken, warnen, herausreißen aus dem komaähnlichen Schlummer, in dem Max gefangen sein musste - sonst hätte er doch längst gehört, was um sie herum geschah. Noch während Till zu dem Bett eilte, wollte er schon Max‘ Namen rufen, doch es war, als wäre seine Kehle versiegelt. Kein Laut kam aus seinem Mund, so sehr er sich auch darum bemühte.
Das konnte nicht sein - das war doch nicht möglich - er musste doch rufen! Till riss die Arme nach hinten, drückte in einem Zusammennehmen all seiner Körperkraft die Brust heraus, um endlich die stumpfe Decke zu durchstoßen, die sich um seine Kehle gewickelt zu haben schien. Eine Willensanstrengung, mit der er - wie er jetzt spürte - die unerklärliche Stumpfheit doch noch durchbrechen würde. Er pumpte und stieß tief aus dem Bauch heraus all die Luft, die er darin hatte - heraus damit durch den Hals, durch die Kehle, heraus mit einem Schrei, der Max endlich wecken musste, bevor es zu spät war -
„MAAAX!“ …
… hörte Till sich schreien, fühlte die Befreiung, die ihn durchströmte, weil es ihm gelungen war, über sich selbst zu herrschen, selbst zu bestimmen, ob er schreien würde oder nicht - und spürte zugleich, dass sich auf einmal alles verschob. Dass das Rascheln abebbte, dass er herausglitt aus der dunkeln Traumwelt, in der er sich befunden hatte, dass er nicht mehr auf das Bett von Max zulief, sondern auf seiner eigenen Matratze lag, herumgeworfen zwar, noch ganz im Sprung, der für ihn das Herausschreien gewesen war - aber nicht mehr in einem nachtdunklen Zimmer, sondern in einem morgendlich sonnendurchfluteten, vor dessen Terrassentür keine formlose Gestaltenhorde lauerte, sondern ein herrlicher Sommertag.
Wie ein Bergbach, der sein Steinbett herunterströmt, perlten die Beklemmung, die Angst, der Schauder von ihm ab. Er hatte geträumt, es war alles klar.
Till schlug die Decke von seinem Körper zurück, wie erstickt plötzlich von der schweren Last der Federn, sprang auf und wollte Max erzählen, was er geträumt hatte. Da war es, als würde sich der Eisblock, den er doch gerade erst gesprengt hatte, erneut um ihn legen.
Max‘ Bett war leer.
Seit acht Tagen hatte Max sein Bett nicht mehr verlassen. Am Abend zuvor hatte er Till gebeten, bei ihm im Zimmer zu übernachten. Till hatte nicht genau verstanden wieso, aber es war klar gewesen, dass Max seine Hilfe gebraucht hatte. Seine Nähe. Seine Anwesenheit. Also hatte Till eingewilligt, seine Matratze in Max‘ Zimmer gebracht und dort sein Nachtlager errichtet - etwas, das er ohnehin gerne tat. Und er hatte Max versprochen, dass er ihn wecken würde, wenn ihm in der Nacht etwas auffallen würde.
Aber dann hatte er nur unendlich fest geschlafen.
‚Er ist schon aufgestanden! Was ist daran so schlimm? Er ist wahrscheinlich schon unten - ihm geht’s wieder besser. Ist doch wunderbar!‘ Till hörte die Stimme in seinem Kopf, er hörte, wie er sich das zurief, aber die Worte kamen nicht an, sie lösten nicht den Eisgriff, der ihn umklammert hielt - während er aus dem Zimmer schoss.
„Max!“
Nichts. Till rannte zum Bad, die Tür
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