Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Mädchen blieben bei ihr.
„Wir sind weit genug, um den Ohren aller zu entkommen. Das Dorf ist
sehr, wie soll ich es sagen, misstrauisch den Neuankömmlingen gegenüber. Sie
werden es nicht gerade erfreulich finden, wenn sie erfahren, dass ich euch
helfen will…“
„Wobei helfen?“ Ceela, die den ganzen Weg geschwiegen hatte, meldete
sich zu Wort. Ihre Stimme klang ängstlich und schwach.
„Ihr wisst nicht, was da gleich auf euch zukommt, und ich kann es euch
auch nicht sagen. Ich kann euch nur sagen, ihr müsst jetzt sofort los. Lauft
nach Norden, bis ihr auf eine Lichtung kommt. Folgt dann dem linken Wanderpfad
ins Tal und ihr werdet den Trainingsplatz schon erkennen. Wenn ihr auf dem
Platz seid, dann kann ich nur einen Tipp geben: Bleibt einfach da stehen.
Bewegt euch nicht, die kleinste Bewegung kann euch zum Verhängnis werden! Die
Angst kann stark sein, gewaltig, doch ihr müsst stärker sein!“
Sie drehte sich schnell um und verschwand hastig hinter den schmalen
Stämmen der Bäume, die wie Unkraut in die Höhe schossen.
Verwirrt und verängstigt standen alle Mädchen da und starrten sich mit
offenen Mündern an. Was war gerade passiert? Was wollte Miranda ihnen erklären?
Wobei wollte sie ihnen helfen? Und vor allem: Was erwartete sie dort unten auf
dem Trainingsplatz ?
Grace fasste sich als Erste wieder aus der Schockstarre.
„Wir sollten auf sie hören. Wir sollten losgehen.“
Gehorsam nickten alle.
Die Mädchen schlichen beängstigt durch den Wald. Temperamentvoll
leuchteten die grellgrünen Blätter, die um sie herum wirbelten, wie
Schneeflocken. Das tiefe Schweigen brachte Grace fast zum Durchdrehen. Sie
wollte Antworten. Sie wollte wissen, was da los war. Doch sie wusste ebenso,
dass auch die anderen Mädchen nicht mehr wussten als sie. Oder etwa doch?
„Was sollen wir machen, wenn wir da sind? Was, glaubt ihr, erwartet uns
da?“ Ceelas Stimme durchbrach die Stille. Sie war kühl, doch ein wenig zittrig,
noch immer. Im Inneren freute sich Grace, dass endlich jemand etwas sagte, doch
sie wurde schon wieder wütend, weil keiner antwortete.
„Habt ihr Miranda nicht zugehört?“ Eine der Zwillinge, die seit ihrer
Ankunft geschwiegen hatten, nicht auch das kleinste Wort gesprochen hatten,
fuhr nun herum. Ihre Stimme klang eintönig und gelangweilt. Wie konnte sie nur
so ruhig bleiben? Was stimmte mit diesem Mädchen nicht?
„Natürlich haben wir ihr zugehört, doch wir kennen den Zusammenhang
nicht! Mein Gott, sie spricht in Rätseln! Sie will uns helfen?! Verdammt, warum
tut sie das dann nicht?“ Olivias Stimme wurde laut und wütend. Sie schnaubte
und die kühle Herbstluft bildete kleine weiße Wölkchen vor ihrem Mund.
Das kleine Mädchen schien unbeeindruckt. Mit derselben kühlen Stimme
entgegnete sie:
„Es ist unbedeutend, worum es geht. Wir befolgen ihre Anweisungen und
wir werden überleben. Dies bedeutet: Ruhe und keine Bewegung vollziehen. Wir
sollten unseren Weg nun fortführen, um zeitig unser Ziel zu erreichen.“
Das konnten doch unmöglich die Worte eines Mädchens sein, die
vielleicht gerade einmal zwölf Jahre alt war.
„Wir könnten auch einfach fliehen, wir sind alleine im Wald. Bis sie
merken, dass wir fehlen, könnten wir schon die Reservate verlassen haben.“
Olivias Stimme bebte vor Euphorie.
Genervt hob der andere Zwilling den Kopf und richtete sich die schmale
Brille auf der Nase, dann sagte sie, ebenso kühl wie ihre Schwester: „In
Anbetracht der stetig fallenden Temperaturen, können wir mit Tagestemperaturen
von circa null Grad Celsius und nächtlichen Temperaturlagen von bis zu minus
zehn Grad Celsius rechnen. Beziehen wir noch den starken kalten Wind, der von
Nordwesten weht und die Tatsache, dass wir keine Vorräte bei uns haben, mit
ein, so haben wir eine Überlebenschance - sollten wir tatsächlich durch den
Wald fliehen - von nicht mehr als drei Tagen, wenn wir Glück haben.
Wahrscheinlich erfrieren oder verhungern wir schon bevor wir überhaupt 48
Stunden da draußen sind.“
Die Zwillinge glichen sich bis aufs kleinste Detail, klein, abgemagert,
kupferrote Haare, eine schmale Brille auf der Nase und kleine Augen, die sich
dahinter verbargen. Nun standen sie beide, die Arme schlaff nach unten hängend,
das Gesicht ausdruckslos, da und starrten in die Gesichter der anderen Mädchen.
Alle starrten sich niedergeschlagen an.
Stille.
„Ich habe Angst.“ Madison sprach mit schwacher Stimme.
Sämtliches Temperament und jegliche Wut
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