Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
sehen musste, was passiert war, doch die Träume
waren auch nicht besser. Sie wollte nicht mehr schlafen, sie würde nur wieder
in den eisigen Sog von blutigen Bildern gezogen werden, das konnte sie nicht
mehr ertragen, es ging einfach nicht mehr. Sie musste raus hier, raus aus
diesem jämmerlichen Krankenbett und raus aus diesem elenden Gebäude, einfach
raus an die frische Luft.
Sie schlüpfte unter der dicken Daunendecke raus und sofort schlug ihr
die Kälte entgegen, die unter ihr dünnes weißes Nachthemd wehte. Fröstelnd
schlang sie ihre Arme um ihren Körper und versuchte sich warm zu halten. Sie
tastete mit ihren Füßen vor dem Bett, dann berührte sie etwas, weich und warm,
Hausschuhe, was ein Glück. Vorsichtig steckte sie ihre nackten Füße hinein und
sie schmiegten sich gleich an den gemütlichen Stoff. Mit ihren Händen tastete
sie sich den Weg aus dem Raum raus, ohne gegen einen Gegenstand zu stoßen und
womöglich andere Kranke in ihren Betten aufzuwecken. Die Tür, mit einem leisen
Ächzen ließ sie sich öffnen und Ceela trat hinaus auf den Gang. Aber wo genau
war sie eigentlich? Wo lag die Krankenstation? Egal sie konzentrierte sich auf
die Wärme, beziehungsweise die Kälte, draußen musste es um einige Grad kälter
sein, also versuchte sie sich von ihren Sinnen dorthin leiten zu lassen. Nach
mehreren Minuten des Tasten durch verlassene Gänge, die in der Ruhe der Mitternacht
lagen, erreichte sie eine kräftige große Tür und dahinter vernahm sie die
Kälte, die Luft, von der sie hoffte, dass sie sie in die Wirklichkeit
zurückholen würde und endlich wach werden lassen würde.
Falsch gedacht.
Langsam suchte sie mit ihren Fingern nach der Türklinke. Da. Gefunden.
Sie drückte die Klinke nach unten und stieß die Tür nach außen auf. Ein noch
eisigerer Schwall Kälte schlug ihr entgegen, aber da war noch etwas anderes.
Sie konzentrierte sich auf den Geruch und da, da war etwas, ein menschlicher
Geruch vermischt mit dem von Baumwolle, Kleidung. Direkt vor ihr. Mist!
Wie konnte ich das nicht schon früher merken? ...Vielleicht die
Kälte…
„Halt! Wohin soll‘s denn gehen junge Dame?“
Eine männliche tiefe Stimme zischte, während sich zwei Hände in ihre
Schultern krallten und sie kurz rüttelten.
„Ich, ich wollte nur an die frische Luft, hab nicht gut geschlafen und
wollte kurz Luft schnappen.“ Als der Mann nicht antwortete, fügte sie hinzu:
„Da drin ist‘s immer so stickig, wissen sie.“
Anspannung lag in der Luft.
„Nun, ich würde dir raten, dich schleunigst wieder ins Bett zu begeben
und dich schlafen zu legen, du musst morgen früh raus.“
„Sieben Uhr Frühstück ist nicht so früh“, gab sie zurück.
Was wollte der Alte von ihr? Konnte ihm doch egal sein, ob sie genug
Schlaf hatte.
„Davor ist Training, hat dich noch keiner informiert?“
Keine Reaktion.
„Nun gut, dann werde ich dich informieren. Um vier Uhr musst du
aufstehen, damit du um halb fünf am Trainingsplatz sein kannst.“
Nein! Nein! Da kann ich nicht wieder hin! Nein!
Sie musste zittern. Ein Schauer überlief ihren Rücken und bohrte sich
wie Messerklingen in das Mark.
„Also geh wieder rein, du musst ausgeschlafen sein. Wehe wenn nicht! Also
ab mit dir!“ Seine Stimme klang herrisch, befehlsgebend.
Sie hätte ihm gerne widersprochen, ihm ihre Meinung zu dem beschissenen
Training gesagt, aber sie war zu sehr in Trance, zu sehr kämpfte sie gegen die
Bilder an, die sich augenblicklich wieder in ihren Kopf projizierten.
Vielleicht waren die Gedanken an den Platz, die in ihrem Kopf herumwirbelten
und glühende Brandmarken hinterließen, ja übertrieben, vielleicht war es gar
nicht so schlimm… Natürlich war es das! Sie konnte nicht mehr. War es
einfacher, zwar alles mitangesehen zu haben, aber wenigstens zu wissen, ob das
was man träumte der Wahrheit entsprach oder war es doch besser, es nicht
wirklich gesehen zu haben, aber von den schlimmsten Bildern geplagt zu werden
und nicht zu wissen was real und was Traum ist? Sie wusste es nicht und sie war
zu schwach weiter drüber nach zu denken.
Schließlich drehte sie auf dem Absatz um und schlurfte wie in Trance
die Gänge zurück in ihr Bett. Sie musste nicht mehr tasten, es geschah einfach
alles, als wäre sie schon hundert Mal dorthin gelaufen, sie kannte den Weg in
und auswendig, sie machte sich keine Gedanken zu fallen oder zu stolpern oder
gegen irgendetwas zu stoßen, sie lief einfach und ihre Füße trugen sie einfach
zu
Weitere Kostenlose Bücher