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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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das gemeinsame Kind und die andere, seine Tochter, das Argument. Warum bemerkte sie das jetzt erst? Wenn sie sich wenigstens wegen ihrer Geburt oder Übergabe oder wie sie das nennen sollte, streiten würden, dann wäre sie jetzt vielleicht einen Schritt weiter. »Warum«, brüllte sie in das Gezeter hinein. Die Stimme versagte ihr. Sie schluckte und holte noch einmal Schwung. »Warum sagt ihr mir nicht einfach alles?«
    Für Sekunden verharrten beide. Ihr Vater riss die Augen auf, was bei seinen Augenringen der Entfaltung eines Segels glich; auch Silvia starrte sie an.
    »Die Wahrheit«, fügte Carina an. Schnell trank sie einen Schluck aus ihrem Glas. »Ist das denn so schwer, verdammt noch mal?«
    »Los, du bist dran, du Feigling«, zischte Silvia Matte an und wollte sich mit dem Telefon aus der Küche verdrücken. »Aus anderen quetschst du die Wahrheit doch auch immer heraus.«
    Ihr Versuch, alles auf Matte abzuschieben, machte Carina noch zorniger. Sie warf das Glas auf den Boden, wo es auf den dämlichen Korkfliesen nicht mal zerschellte. Es rollte nur unter die Anrichte, ein Rest Wasser floss heraus, das war alles. Für Sekunden blieb ihr die Luft weg. Dann holte sie erneut Atem und schrie Silvia an: »Dich meine ich genauso wie ihn. Los, raus mit der Sprache. Wer ist meine Mutter, wo lebt sie? Ich will es JETZT wissen.« Ihre Kehle brannte, in ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie so gebrüllt. Ihr Vater wandte sich ab, begann den Tisch abzuräumen und stellte die Teller zusammen. Silvia fasste sich an die Nase, rannte ins Bad und knallte die Tür zu. Wie hatte sie diese Frau nur zweiunddreißig Jahre lang für ihre Mutter halten können?
    Mattes Handy klingelte. Tatsächlich, er ging auch noch dran, sprach seelenruhig mit jemandem, tupfte dabei Baguettekrümel mit der Fingerspitze vom Teller und leckte sie ab. Carina drehte sich um und fing an, wahllos Schubladen herauszureißen. Sie kippte Löffel, Gabeln, Messer auf den Boden. Dann machte sie unter dem Telefontischchen weiter, fetzte das Adressbuch heraus, den Zettelblock, Stifte, Büchereikarten. Im Wohnzimmer öffnete sie alle Schränke und durchwühlte die Papiere. Silvias heilige Mütterkartei. Dankesschreiben und Zeitungsschnipsel flatterten auf den Teppich. Sie blätterte in Aktenordnern, schüttelte sie, als könnte sich die Wahrheit darin festkrallen, rupfte Briefe aus Umschlägen, schleuderte Bücher und Videokassetten aus den Regalen. Einen Moment stutzte sie, wozu bewahrten sie noch Videos auf? Der Videorekorder hatte schon vor Jahren den Geist aufgegeben. Sie las die Beschriftungen. Ach so, die selbst gedrehten Filme, die konnte man noch mit der alten Kamera ansehen. Es knirschte, als sie das Band Carina 12 herausriss.
    Das bin nicht ich, die das hier macht, schoss es ihr durch den Kopf, dann zertrat sie das Video.
    Wenn es hier wirklich etwas gäbe, hätte sie es schon vor Jahren gefunden, als sie noch zu Hause gewohnt hatte.
    »Hör sofort auf! Was fällt dir ein?« Ein blutiges Taschentuch an die Nase gepresst, wollte ihr Silvia den Karteikasten entwinden, doch Carina leerte ihn auf den Haufen. »Mat-thi-as!« Ihr Ruf klang gedämpft. »Deine Tochter dreht durch!« Blätter wirbelten herum. Ungerührt riss Carina an den Vorhängen, auf der Suche nach irgendwelchen Wandverstecken, und kippte weiter Schubladen aus.
    Silvia fing das Fotoalbum mit den erschöpft lächelnden Müttern und verkniffenen Babygesichtern auf, das Carina gerade aus einer Hülle zerrte. »Verschwinde! Raus hier!« Sie ließ das Taschentuch fallen. Blut spritzte auf den Dokumentenhaufen. Das Geschwür auf ihrer Nase war wieder aufgebrochen.
    Carina schob sie zur Seite, lief ins Schlafzimmer. Von Kindheit an war sie den Anblick der Akten gewohnt, die sich dort in der Büroecke unterm Fenster stapelten, samt den grausigen Tatortfotos von den aktuellen Fällen, an denen ihr Vater auch noch nach Feierabend bis spät in die Nacht arbeitete. Oft genug hatte sie im Türrahmen gestanden und auf die Gutenachtgeschichte gewartet, die er ihr versprochen hatte. Sie sah wieder vor sich, wie er mit seinem breiten Rücken unter die Vergrößerungslampe gebeugt dort am Schreibtisch saß. Manchmal durfte sie dann auf seinen Schoß und mithelfen, als wären die Fotos eines Falles ein Suchrätsel, bei dem es galt, die versteckte Maus zu finden. Silvia hatte geschimpft, dass sie den Anblick der Bilder nicht ertrug und Albträume bekäme. Er behauptete, nur wenn er seine Fälle um sich habe,

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