Die Versuchung der Hoffnung
Weiterfahrt ist bei diesem Wetter auf gar keinen Fall mehr zu denken. Fluchend steigt er schließlich ab und schiebt. Er kann nur hoffen, schnell eine Unterkunft zu finden.
Zähneknirschend schiebt er seine Maschine neben sich her und die Minuten kommen ihm wie Stunden vor. Mittlerweile ist es so kalt, dass er anfängt zu zittern. In der nächsten Kurve rutscht er aus und fällt in den verdammten Schnee. Zum Glück fällt die Maschine dabei nicht auf ihn drauf, aber er braucht mehrere Minuten, bis er das schwere Gerät wieder hochgewuchtet hat. Völlig erschöpft und durchgefroren schiebt er weiter.
Irgendwann sieht er durch den dichten Schnee ein Licht schimmern, und als er näherkommt, erkennt er hinter ein paar Bäumen ein schwach beleuchtetes Haus. Es ist das erste in einer kleinen Ansammlung, die so etwas wie ein Dorf darstellen soll. Zögernd bleibt er einen Moment stehen, aber letztendlich siegt die Vernunft. Wer weiß schon, wo in dieser gottverdammten Einöde wieder eine Spur von Zivilisation zu finden sein wird! Auf gut Glück geht er also auf das erste der Häuser zu.
Als er näherkommt, löst er den Bewegungsmelder aus und ist von dem hellen Licht einen kurzen Augenblick lang geblendet. Blinzelnd und mit steifen Fingern schiebt er seine Maschine in Richtung des Hauses und stellt sie vor der Garage ab.
Etwas zögerlich stapft er die paar Schritte bis zum Haus durch den tiefen Schnee. Im Dunkeln irgendwo bei Fremden zu klingeln und um Asyl vor dem Schnee bitten zu müssen, entspricht nicht unbedingt seiner Vorstellung von einem geglückten Ausflug.
Nach einem Blick auf das Klingelschild muss er allerdings lächeln. „Petterson“ steht auf dem Schild.
Na, wenn das mal kein gutes Omen ist!
Es dauert nicht lang, bis die Tür aufgeht und eine blonde Frau dahinter zum Vorschein kommt. Gerade will er eine Begrüßung murmeln, als ihn die Erkenntnis wie ein Blitz trifft und er erstarrt, unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen Ton von sich zu geben. Für einen Moment hört sein Herz auf zu schlagen, dann setzt es mit einem unangenehmen Stolpern wieder ein, um dann in einem doppelt so schnellen Rhythmus mit dem Schlagen fortzufahren. Völlig entgeistert starrt er in ihr Gesicht und folgt ihrem Mienenspiel, das in diesem Moment von Irritation über die späte Störung zu Erkennen und Fassungslosigkeit wechselt.
„John!“ Ihre Stimme ist fast tonlos und trotzdem hätte er sie unter Tausenden erkannt.
Er selbst muss sich mehrfach räuspern, bis er wieder sprechen kann.
„Hope!“ Zu mehr ist er nicht in der Lage.
+++
Kapitel 3
Ich stehe völlig fassungslos in der Tür und spüre, wie mir erst heiß, dann kalt und dann wieder heiß wird. Meine Hände fangen an zu zittern und mein Herz beginnt zu rasen. Ich halte mich am Türgriff fest, weil es das Einzige ist, das ich in diesem Moment zu fassen bekomme.
Diesen Moment, den Moment, in dem ich John wiedersehe, habe ich mir so oft ausgemalt, ich habe ihn mir herbeigesehnt und ich habe ihn gefürchtet. Damit, dass ich ihn hier wiedersehe, hier vor meiner Tür, damit hätte ich niemals gerechnet. Wie auch? Dies ist das Haus meiner verstorbenen Tante und er ist niemals mit mir hier gewesen.
Ich kann mich immer noch nicht rühren, ich stehe nur da und starre ihn an.
Zumindest John scheint sich langsam wieder im Griff zu haben.
„Hope … Ich … Es tut mir leid, dass ich dich belästige!“ Seine Worte klingen seltsam, als müsse er sich beherrschen, um nichts Dummes zu tun oder zu sagen. Mit der Hand fährt er sich durchs Gesicht, um ein paar Schneeflocken wegzuwischen, aber beinah im selben Moment bleiben neue in seinen langen, dunklen Wimpern hängen. Dann räuspert er sich wieder. „Ich hatte einen kleinen Motorradunfall und kenne mich hier nicht aus. Kann ich vielleicht kurz hereinkommen und jemanden anrufen, der mich abholt? Ich störe auch nicht lang.“
Ich mache die Tür ganz auf und gehe einen Schritt zur Seite, sodass er hereinkommen kann. Dann führe ich John ins Wohnzimmer.
Stumm nicke ich und deute auf das Telefon, das auf einem Tischchen neben dem Sofa steht.
„Du kannst es gern versuchen, aber ich glaube nicht, dass du eine Chance hast. Hier wird heute niemand mehr durchkommen. Es schneit ununterbrochen, seit über zwei Stunden. Alle Wege dürften zu sein.“
In der Küche fängt mein Teekessel aufdringlich an zu flöten und ohne ein weiteres Wort in Richtung Jonathan zu verlieren, drehe ich mich um, um Tee aufzugießen.
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