Die Versuchung der Hoffnung
Meine Hände zittern so sehr, dass es mich wundert, dass mir dies gelingt, ohne alles zu verschütten.
Ich fühle mich, als müsste ich jeden Moment ohnmächtig werden. Weit öffne ich das Fenster und atme tief die kalte Luft ein, während sich mein Herzschlag langsam wieder normalisiert und das Zittern ein wenig nachlässt. Als ich mich so weit beruhigt habe, dass ich wieder halbwegs klar denken kann, nehme ich zwei Tassen aus dem Schrank und stelle sie zusammen mit den Keksen und dem frisch aufgebrühten Tee auf ein Tablett.
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Hopes Duft umgibt sie wie ein Schleier.
Sie riecht so gut! Nach Orangenschalen und irgendetwas Cremigem, nach Vanille, Zimt und Kirschen und ein bisschen nach Seife auf warmer, weicher Frauenhaut.
Fuck! Die dämlichen Orangenschalen sind nicht das Problem, Mann.
Sie riecht genau wie früher. Sie riecht nach Hope, nach purem, hemmungslosem Sex und dem Gefühl, irgendwo zu Hause zu sein. Sie riecht nach Liebe.
All die Gefühle, die er in den letzten Jahren mit Gewalt zu verdrängen versucht hat, sind mit einem Schlag wieder da. Die Liebe, der Schmerz, die Erinnerung an ihren süßen, verlockenden Körper, einfach alles.
Nur ein kurzer Blick auf sie hat genügt, um wieder zu wissen, wie sehr er sie geliebt hat. Nach all den Jahren zwischen aufgetakelten Groupies hat er beinah vergessen, wie schön und natürlich Hope ist. Hope. Seine Hope …
Mach dir nichts vor, Junge. Leider hast du es nie wirklich vergessen können!
In einer bitteren G este schüttelt er den Kopf. In dem Versuch, es zu vergessen, hat er ein ganzes Jahr lang alle Drogen eingeworfen, die er zwischen die Finger bekommen hat. Und er hat jede Frau, die ihn auch nur entfernt an sie erinnert hat, jedes dämliche, blonde Groupie, gevögelt in dem verzweifelten Versuch, die Erinnerungen an Hope mit neuen zu überspielen. Jedes Mal hat er sich danach schlechter als vorher gefühlt und der einzige Effekt war, dass ihm sein Verlust nur umso schmerzhafter bewusst wurde.
Dann hat er es mit Brünetten versucht, mit ähnlich schlechten Ergebnissen.
Irgendwann hat sein Manager ihn gezwungen, eine Therapie zu machen, die ihn zumindest von den Drogen weggebracht hat. Im Nachhinein denkt er manchmal, dass ihm das das Leben gerettet hat.
Dabei, Hope zu vergessen, hat ihm die Therapie allerdings nicht geholfen. Erst die Jahre haben geschafft, dass diese Wunde, die ihr Verlust in seinem Herzen hinterlassen hat, nicht mehr ganz so schmerzhaft ist.
Aber sie jetzt zu sehen, das reißt alles wieder auf. Auf gar keinen Fall kann er hier bleiben, nicht eine Minute länger als unbedingt nötig. Er wird jetzt jemanden anrufen und dann draußen warten, bis er abgeholt wird.
Entschlossen greift er zum Telefon und wählt.
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Als ich zurück ins Wohnzimmer komme, habe ich mich ein bisschen gesammelt. John sitzt auf dem Sofa und hat seine Jacke ein Stück geöffnet. Die Ellenbogen hat er auf seine Knie gestützt und er presst sein Gesicht einen Moment lang in seine Handflächen.
„Und, warst du erfolgreich?“
Er schüttelt den Kopf und sieht einen Moment lang so verzweifelt aus, dass ich ihn am liebsten tröstend in den Arm nehmen würde, auch wenn ich weiß, dass das mit Sicherheit alles andere als eine gute Idee sein dürfte.
Müde sieht John mich an und schüttelt erneut den Kopf.
„Es scheint überhaupt kein Durchkommen zu sein, nirgendwo. Gibt es hier im Ort irgendwo so etwas wie ein Motel oder eine Pension? Irgendwo in der Nähe?“
Über diese Frage muss ich fast lachen.
„Das nächste ist ungefähr fünfundzwanzig Kilometer weit weg … Wenn du dich durch den Schnee dorthin kämpfen möchtest: nur zu!“
Unsicher setze ich mich auf die äußerste Ecke des Sofas und sehe ihn an. Eigentlich hat er sich kaum verändert. Die Jahre haben seine Gesichtszüge ein wenig herber werden lassen, was gut zu ihm passt.
Ich habe ihn neun Jahre lang nicht gesehen. Neun Jahre! Die ganze Situation kommt mir so abstrus und surreal vor, als würde ich sie gar nicht selbst erleben, sondern vielleicht in einem Film betrachten. Meine Hände zittern leicht und ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll, fühle mich völlig verwirrt. Ich möchte ihn so schnell wie möglich wieder wegschicken. Und gleichzeitig …
Lieber nicht darüber nachdenken, Hope. Lass es einfach!
Langsam erhebe ich mich vom Sofa und gehe in Richtung Telefon, während ich darüber nachdenke, bei welchem meiner unmittelbaren Nachbarn ich ihn unterbringen könnte. Es
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