Die Versuchung der Hoffnung
wird schon niemand dumme Fragen stellen, ich bin eine Frau und ganz allein, es ist schließlich klar, dass ich keinen Fremden hier übernachten lassen kann, einfach so.
John schlingt die Arme eng um sich, als würde er frieren und tatsächlich sind seine Finger und seine Lippen ziemlich blau. Und er zittert. Erst jetzt sehe ich, dass seine Kleidung zum Teil völlig durchnässt ist. Offensichtlich ist er in den Schnee gefallen.
Wie kann man nur so idiotisch sein und bei diesem Wetter mit dem Motorrad losfahren?
Statt wie geplant nach dem Telefon zu greifen, bleibe ich stehen. Vielleicht ist es der Mutterinstinkt, der über meinen Verstand siegt. Oder irgendein dämlicher Helferkomplex.
„Du bist völlig durchgefroren, John. Du solltest eine heiße Dusche nehmen und dich aufwärmen. Ich schaue mal nach, ob ich etwas anderes zum Anziehen für dich finde.“
Ich muss verrückt sein.
Ich sollte ihn einfach wieder vor die Tür setzen.
Aber jetzt habe ich es gesagt … und ich kann es nicht mehr zurücknehmen. Zumindest nicht, ohne dass es sehr seltsam wäre.
John sieht mir einen Moment lang in die Augen und ich kann seinen Blick nicht deuten. Dann nickt er und folgt mir in Richtung Badezimmer.
Verdammt, ich muss wirklich völlig wahnsinnig sein!
Kapitel 4
Mit einem verwirrten Kopfschütteln gehe ich vom Bad aus in Richtung meines Schlafzimmers, während ich höre, wie John das Wasser anstellt.
Ich setzte mich auf mein Bett und drücke mein Gesicht in meine Handflächen, ganz ähnlich seiner Geste vorhin.
Langsam, ganz langsam begreife ich, was hier gerade passiert.
Das ist John. Er ist hier und er steht unter meiner Dusche.
Ich habe jahrelang versucht, ihn zu vergessen und jetzt ist er einfach hier. Aus heiterem Himmel, in meinem Haus. Nackt, unter meiner Dusche!
Der letzte Gedanke löst etwas in mir aus, worüber ich lieber nicht näher nachdenken will. Ich versuche mich abzulenken, indem ich nach Sachen in meinem Schrank suche, die Johns Zustand von nackt auf angezogen ändern können und wodurch sich zumindest ein Teil meines Problems hoffentlich von selbst erledigen wird.
Da ich nicht viele Sachen habe, die ihm passen könnten, finde ich schnell, was ich suche. Etwas verlegen nehme ich die graue Sweatjacke mit der weichen Kapuze heraus, die sowieso ihm gehört und die ich einfach behalten habe. Sie liegt immer noch bei mir im Schrank, ich habe mich nie davon trennen können. Gezielt greife ich nach einem dunkelblauen Herren-T-Shirt in XL, das ich im Sommer manchmal zum Schlafen trage, und einem Paar Boxershorts mit kleinen niedlichen Kaninchen, die ich ebenfalls manchmal nachts trage. Bei dem Gedanken daran, wie Jonathan wohl darin aussehen wird, stiehlt sich ein Grinsen in mein Gesicht, das ich gleich wieder verbanne.
Schön brav bleiben, Hope.
Seufzend schiebe ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stecke sie mit einer Haarnadel neu fest.
Eine Hose für John zu finden ist schon schwieriger, aber letztendlich finde ich ganz hinten im Schrank ein Paar Jeans, die ursprünglich mal meinem Bruder gehört haben und die ich mal irgendwann mitgenommen habe, um sie als Jeansflicken für die Hosen von Sam zu verarbeiten. Irgendwie habe ich es aber nie übers Herz gebracht, eine völlig intakte Hose zu zerstören, um eine kaputte damit zu reparieren. Selbst dann nicht, wenn sie meinem Bruder gar nicht mehr passt. Gut so. Jetzt verhindert es, dass John ohne Hose in meinem Wohnzimmer sitzen muss.
Im Grunde sehr bedauerlich.
Schnell nehme ich ein Paar Socken aus der Schublade; es bleibt mir nur, eins von meinen zu nehmen, das sich hoffentlich weit genug dehnen wird, um an Johns Füße zu passen.
Mit meinem Kleidungsstapel im Arm stehe ich vor dem Badezimmer, in dem Jonathan seine Dusche mittlerweile beendet zu haben scheint, denn das Wasser läuft nicht mehr. Ich klopfe vorsichtig an, weil ich ihm mitteilen will, dass ich trockene Sachen für ihn habe. „John?“ Gerade will ich ihm sagen, dass ich ihm die Klamotten vor die Tür legen werde, als eben diese aufspringt.
+++
John steigt aus der Dusche und wickelt sich ein Handtuch um die Hüften. Das ganze verdammte Bad roch so sehr nach Hope, als er vorhin hereingekommen ist, dass ihm beinah schwindelig geworden ist.
Neun verdammte Jahre ist es her. Und kaum, dass er sie wiedersieht, ist alles wieder da.
Auf der Ablage über dem Wachbecken liegt die Perlenkette, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat, daneben ein Paar
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