Die Versuchung
und studierte die Speisekarte.
»Haben Sie das früher auch schon getan? Ich meine, sich um Leute kümmern, die … Mr. Jackson kennt.«
Charlie blickte von der Speisekarte auf. »Ich arbeite schon eine ganze Zeit für ihn, ja. Aber ich habe ihn nie persönlich kennengelernt. Unsere Verbindung ist rein telefonisch. Er ist ein kluger Bursche. Für meinen Geschmack ein bißchen unterkühlt, ein bißchen seltsam, hat aber unheimlich was auf dem Kasten. Er bezahlt mich gut, sehr gut sogar. Und in schicken Hotels den Babysitter für erwachsene Leute zu spielen ist kein schlechtes Leben.« Er grinste. »Aber ich hab’ mich noch nie um jemanden gekümmert, mit dem es so viel Spaß gemacht hat wie mit Ihnen.«
LuAnn kniete sich neben den Kinderwagen, holte unter der Decke ein in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen hervor und reichte es Charlie.
Charlie blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. »Was ist das?«
»Ein Geschenk für Sie. Eigentlich ist es von mir und Lisa. Ich hab’ nach irgend etwas für Sie gesucht, und da hat Lisa gequietscht und darauf gezeigt.«
»Wann haben Sie das gekauft?«
»Sie haben sich in der Herrenbekleidungsabteilung umgeschaut, erinnern Sie sich?«
»LuAnn, das wäre doch nicht nötig gewesen …«
»Das weiß ich«, sagte sie schnell. »Deshalb nennt man so was auch Geschenk. Man muß es nicht tun.« Charlie nahm die Schachtel mit beiden Händen. Seine Augen hingen wie gebannt an LuAnn.
»Nun machen Sie schon auf. Du meine Güte«, sagte sie.
Während Charlie vorsichtig das Geschenkpapier entfernte, wurde Lisa munter. LuAnn ging zu ihr und nahm die Kleine auf den Arm. Beide schauten zu, als Charlie den Deckel von der Schachtel nahm.
»Oh, Mann!« Langsam nahm er den dunkelgrünen, weichen Filzhut heraus. Das äußere Hutband war zwei Finger breit und aus Leder, das Schweißband cremefarben und aus Seide.
»Ich habe gesehen, wie Sie den Hut im Geschäft anprobiert haben, und fand, daß Sie richtig schick damit aussahen. Aber dann haben Sie ihn zurückgelegt. Doch ich habe gemerkt, daß Sie ihn eigentlich gern gekauft hätten.«
»LuAnn, das Ding kostet verdammt viel.«
Sie winkte ab. »Ich habe noch was im Sparstrumpf. Ich hoffe, er gefällt Ihnen.«
»Ich finde ihn wundervoll, danke.« Er umarmte LuAnn, nahm Lisas winzige Fäuste in beide Hände und drückte sie leicht. »Und dir auch vielen Dank, kleine Lady. Du hast einen sehr guten Geschmack.«
»Setzen Sie ihn noch mal auf. Hoffentlich gefällt er Ihnen immer noch.«
Charlie tat wie geheißen und blickte in den Spiegel.
»Schick, Charlie. Todschick.«
Er lächelte. »Nicht übel, ja, nicht übel.« Er zupfte an der Krempe, bis sie den richtigen Winkel hatte. Dann nahm er den Hut ab und setzte sich wieder. »Ich habe noch nie ein Geschenk von den Leuten bekommen, die ich betreut habe. Normalerweise sehe ich sie sowieso nur ein paar Tage, dann übernimmt Jackson sie.«
LuAnn griff das Stichwort sofort auf. »Wie sind Sie an den Job bei Jackson gekommen?«
»Ich nehme an, Sie möchten gern meine Lebensgeschichte hören, ja?«
»Klar. Ich habe Sie ja auch vollgequatscht.«
Charlie machte es sich im Sessel bequem und wies auf sein Gesicht. »Ich wette, Sie wären nie darauf gekommen, daß ich meine Fähigkeiten früher mal im Boxring unter Beweis gestellt habe.« Er grinste. »Hauptsächlich war ich Sparringspartner. Ein lebender Sandsack für aufstrebende Talente. Aber ich war klug genug, die Brocken hinzuschmeißen, bevor mir der letzte Rest Hirn zu Brei geschlagen wurde. Danach habe ich Football gespielt, als Halbprofi. Das geht genauso auf die Knochen, das kann ich Ihnen sagen, aber man trägt wenigstens einen Helm und Schutzkleidung. Ich war immer ein sportlicher Typ. Harte Männersportarten. Ehrlich gesagt, hat’s mir Spaß gemacht, meinen Lebensunterhalt mit Sport zu verdienen.«
»Sie scheinen immer noch gut in Form zu sein.«
Charlie schlug sich auf die straffe Bauchmuskulatur. »Nicht übel für einen Mann, der beinahe vierundfünfzig ist. Jedenfalls, nach meiner Footballkarriere habe ich eine Zeitlang als Trainer gearbeitet, dann geheiratet, habe mich hier und da herumgetrieben, hab’ aber nie das Richtige gefunden. Sie verstehen?«
»Das Gefühl kenne ich sehr gut«, meinte LuAnn.
»Dann hat meine Karriere einen Riesenschlenker gemacht.« Charlie machte eine Pause, drückte die Zigarette aus und steckte die nächste an.
LuAnn nutzte die Gelegenheit, Lisa wieder in den Kinderwagen zu setzen.
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