Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
sein!« sagten sie.
    Später am Vormittag legte Pete den Körper seines Bruders in den Kühlraum und zog ihm die mit Blut getränkten Kleider aus. Ernies Körper war wächsern und weiß, er hatte die Farbe von Kutteln. Pete wusch ihn, trocknete ihn ab und verband seine verstümmelten Finger mit Musselin. Er sagte zu sich: Ernie war ein guter Mensch.
    Er deckte ihn mit einem Bettuch zu.
    Es war die Woche vor Ostern. Reverend Geddis brachte eine Beerdigung nicht mehr unter. Sie würden etwas warten müssen, nur kurze Zeit, acht Tage.
    Überall auf den Wegen, in den Gräben und Wäldern um Swaithey gingen die Dorfkinder Schlüsselblumen pflücken, um daraus Sträußchen für die Kirche zu machen.
    Während sie auf die Beerdigung warteten und Grace im Bett lag und nicht getröstet werden konnte, nicht einmal von ihren Träumen, die sich alle um ihre Hochzeit drehten, ging Walter hinaus zu Petes Bus, in dem er dann allein herumsaß und Schallplatten hörte. Es war das Jahr der Everly Brothers mit All I Have to Do is Dream .
    Nachts im Bett in seinem Zimmer, das an das seiner Mutter angrenzte, lag er lange wach. Er hatte Durst, nicht auf Flüssiges, sondern auf etwas, das er nicht benennen konnte. Und sobald er einschlief, geschah das, was er am meisten fürchtete: Arthur Loomis sprach zu ihm.
    In seinen Träumen versuchte Walter sich vor Arthur zu verstecken. Er versuchte sich in den Schweineställen, unter dem Bus und in einem Regenfaß zu verstecken, doch Arthur war allwissend und sah alles und fand ihn überall. Er lächelte Walter an. Seine Augen waren nett und freundlich. Er sagte: »Ich bin nur hier, mein Junge, um dir mitzuteilen, was du schon weißt. Deine Zukunft liegt im Laden. Eine andere Zukunft gibt es nicht für dich.«
    »Ich weiß«, erwiderte Walter, »ich weiß.«
    Der Laden blieb eine Weile geschlossen. Die Rollos waren heruntergelassen, und aufs Schaufensterglas war ein Zettel geklebt. Pete war es, der Ernies Blut vom Boden und von der Fleischbank schrubbte. Er reinigte das Hackbeil mit Stahlwolle und legte es beiseite.
    Verwandte trafen ein, um Grace zu trösten. Irgendwie schien jeder zu denken, daß nur sie des Trostes bedurfte. Niemand unternahm den Versuch, Walter oder Pete zu trösten. Es waren meist Frauen, Schwestern und Cousinen von Grace. Sie sprachen über die Kränze und Gestecke, die sie bestellen wollten, und über die Lieder, die im Trauergottesdienst gesungen werden sollten. Sie saßen bei Grace am Kamin, strickten, drückten ihr Haar an und blickten auf ihre sauberen Hände. Und immer wieder erzählten sie alte Geschichten aus dem Krieg. Sie backten kleine, süße Brötchen und machten starken Tee.
    Walter ließ sie dort sitzen. Sie schienen sein Weggehen gar nicht zu bemerken, taten es aber doch und fühlten sich wohler, schneller bei der Hand mit ihrem schwachen Trost und ihren Plänen, nachdem er gegangen war. Jedenfalls, sagte sich seine Tante Josephine, ist er zu groß für die Stühle.
    Der einzige Ort, wo er hingehen konnte, war der Bus. Wenn er im Sonnenschein herumlief, taten ihm die Augen und das Herz weh.
    Pete und er machten sich auf dem Kocher Würstchen heiß und nutzten zwei Grammophonnadeln mit den Everly Brothers ab. Sie hatten eine Menge zu sagen, brachten es aber nicht über die Lippen. Dann komponierten sie an einem einzigen Abend einen Vers und Refrain für ein Lied, und Walters Durst auf etwas, das er nicht benennen konnte, ließ nach.
    Er war jetzt Besitzer einer Gitarre und spielte recht gut darauf. Der Song hatte eine Gitarren- und Banjobegleitung. Walter war stolz darauf, und er war vom Tod und von seiner Zukunft im Laden abgelenkt und dachte wieder an Sandra, die ihm eine Beileidskarte geschickt hatte. Auf der Karte war ein Gedicht. Walter dachte, daß dieses den Eindruck machte, als wäre es in einer Gedichtefabrik geschrieben worden, und auch Sandras eigene kleine Mitteilung – »mit aufrichtigem Beileid für Deinen schweren Verlust« – schien aus einer Nachrichtenfabrik zu kommen. Doch Sandra wurde dadurch in seinen Augen nicht herabgesetzt. Es ließ ihn nur noch mehr wünschen, Sandra auf eine große, leere Wiese zu setzen und ihr seine Lieder vorzusingen, die aus seinem Inneren kamen und nicht aus einer Liedermachermaschine.
    Walter wurde allmählich kahl. Er träumte davon, daß Sandra ihm mit den Fingern durch sein lockiges Haar fuhr und die Stelle auf seinem Hinterkopf, wo das Haar dünn geworden war, zärtlich streichelte.
    Der Song hieß Kalt wie

Weitere Kostenlose Bücher