Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Winter im Frühling . Es war ein Lied für Ernie und sollte sein Sterben beschreiben. Der Text war, bis auf ein oder zwei Wörter, von Walter und die Melodie hauptsächlich von Pete. Der Teil, den sie an einem einzigen Abend geschrieben hatten, ging so:
Sie sagen, Schnee fällt im Dezember und Januar,
Sie sagen, im Frühling sind Blumen auf den Wiesen,
Sie sagen, die kurzen Tage sind des Glückes bar,
Sie sagen, man solle die langen genießen.
Doch nein, ich glaube das nicht mehr.
Glaub nicht an Amseln im April.
Das Beste kam erst, dann ward es schwer,
Der Frühling ist wie der Winter so still.
Das Lied sollte rechtzeitig zur Beerdigung fertig werden. Sie wollten Grace und Reverend Geddis fragen, ob sie es im Trauergottesdienst singen dürften, so wie die Verwandten der Toten in den Baptistenkirchen im Süden Nordamerikas. Doch der nächste Vers wollte sich nicht einstellen. Ernies Tod war so häßlich und plötzlich gewesen, daß es einfach keine Worte zu geben schien, die ernst genug waren, um ihn zu beschreiben. Sie versuchten es mit ein paar Zeilen, in denen sie »Hackbeil« mit »weil« reimen wollten, genierten sich dann aber damit. Sie hatten die Melodie und das Stückchen über Winter und Frühling, was Pete »eine hübsche Idee« nannte, doch das war alles.
Sie blieben bis spät in die Nacht hinein auf und mühten sich mit dem Song ab. Es war die Nacht nach Ostersonntag. Die Beerdigung sollte in zwei Tagen stattfinden. Der Blumenschmuck und die Kränze waren bestellt, und an Graces Hut war ein schwarzer Schleier genäht worden.
Tante Josephine wurde mit einer Taschenlampe losgeschickt, um Walter heimzuholen. Als sie vorsichtig über die Wiese ging, hörte sie das Singen und murmelte vor sich hin: »Ein guter Mensch hat uns verlassen, und was tun sie?«
Der Zauberkasten
Mary versuchte zu wachsen.
Sie reichte Lindsey Stevens kaum bis zur Schulter und wollte ihr zumindest bis zu den Augen gehen.
Sie hatte gehört, daß man durch Strecken größer werden konnte. Also hängte sie sich in der Turnhalle ihrer Schule an die Sprossenwand. Zu Hause baumelte sie vom Türsturz.
Ihr kam es so vor, als wäre sie im Entwicklungszustand der Puppe, an einem Faden aufgehängt. Sie stellte sich vor, daß sich beim Wachsen auch ihre Haut zu einer Männerhaut verdickte.
Sie liebte Bockspringen. Ihrer Turnlehrerin fielen ihre Wendigkeit und Furchtlosigkeit auf. Sie sprang hart vom Sprungbrett ab, flog in die Luft und kam sauber auf. Sie qualifizierte sich für die Juniorenmannschaft der Turner und erhielt eine gelbe Schärpe. Mary betrachtete die Schärpe, die einem Ordensband glich, und fragte sich, ob man mit herausragenden Leistungen im Bockspringen zu Ruhm und Ehre gelangen konnte.
Nach den Osterferien kam sie mit sieben neuen Zauberkunststücken zur Schule zurück und erzählte Lindsey: »Ich arbeite zu Hause an einem ganz großen, schwierigen Trick. Wenn du Lust hast, besuch mich doch mal in den Sommerferien, dann bin ich soweit, daß ich ihn dir vorführen kann.« Lindsey wußte noch nicht, ob sie kommen konnte. Sie hatte Ostern einen Jungen aus einer Privatschule kennengelernt. Er hieß Ranulf Morrit und war sechzehn Jahre alt. Er hatte ihr den Zungenkuß beigebracht, konnte Griechisch und hatte eine äußerst akkurate Schrift. Er wollte ihr einmal in der Woche aus Haileybury schreiben.
Mary dachte: Eines Tages werde ich wie Ranulf Morrit sein. Ich werde groß genug sein, um mich hinunterbeugen und Lindsey auf den Mund küssen zu können. Ich werde zwar nicht mit Griechisch angeben können, aber lieb zu ihr sein.
In Geschichte wurde die Artus-Sage durchgenommen. Miss Gaul sagte: »Möglicherweise gab es König Artus’ Tafelrunde gar nicht, doch in der Vorstellung der Menschen hat sie die ganzen Jahrhunderte hindurch existiert. Man könnte also sagen, daß es sie in gewisser Weise gegeben hat.« Mary fragte: »Gibt es in der Geschichte noch anderes, was nur in gewisser Weise existiert hat?«
»Nun, Marty, die Geschichte ist voll von Mythen, Legenden und Aberglauben. So kann ein Mythos für den einen die Wahrheit und für den anderen nur dummes Gerede sein.«
»Aber wer hat recht? Wer daran glaubt oder wer nicht daran glaubt?«
Miss Gaul lächelte. Dies war ein seltener Anblick. »Keiner von beiden hat recht. Und keiner von beiden hat unrecht.«
Mary entschied daraufhin, daß die Artus-Sage keine Legende war. Nicht für mich. Für mich haben er und Sir Galahad und Lancelot existiert. Und ich werde
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