Die Verwandlung
einer Brille aus Drahtgestell saß ruhig an ihrem Schreibtisch und tippte etwas in einen Computer ein. Da bemerkte ich, dass ein weiterer Schüler die Bibliothek betreten hatte, während ich mit meinen Büchern beschäftigt gewesen war. Patrick.
Er saß an einem Tisch auf der anderen Seite des Eingangsbereichs, mir zugewandt, doch mit dem beschäftigt, was auch immer er gerade las.
Ich erinnerte mich an den Moschusduft, der mich neulich beim Mittagessen ganz flattrig gemacht hatte, und daran, wie ich auf der Party gestern Abend ganz männerverrückt geworden war, nachdem ich ihn wahrgenommen hatte und ihm durch die Wälder nachgejagt war. Ich konnte ihn aus der Entfernung natürlich nicht riechen, doch die Erinnerung an seinen Duft hatte eine Prägung in einem Teil meines Gehirns hinterlassen, die sogar der Nächtlichen Emily seltsam erschienen war: Er ist es. Er ist was? Ich musste aufstehen, hinübergehen, mit ihm reden. Er war neu, und zeitgleich mit seinem Auftauchen hatten unheimliche Dinge von epischen Ausmaßen begonnen. Außerdem war irgendetwas an ihm, irgendein Pheromon oder was auch immer, das mich sogar noch verrückter machte, als ich es nachts ohnehin schon war. Vielleicht wusste er etwas darüber, was mit mir geschah. Vielleicht… Ich blieb sitzen, hielt mir ein Buch vors Gesicht, damit er nicht sehen konnte, wer ich war, und spähte darüber hinweg zu ihm hinüber. Alle paar Minuten bereitete ich mich psychisch darauf vor, loszugehen und ihn anzusprechen. Was würde die Nächtliche Emily tun?, fragte ich mich. Doch das funktionierte nicht. Weil ich nicht die Nächtliche Emily war. Ich war nur einfach ich, Emily Webb, eine durchschnittliche, ganz alltägliche Streberin, die kein bisschen Mumm in den Knochen hatte.
Schließlich legte er das Buch, das er gerade las, beiseite, packte seinen Rucksack und ging.
Ich sah seine hoch gewachsene Gestalt in Richtung Tür schreiten und sagte zu mir: Das ist deine letzte Chance. Geh hin und sprich ihn an. Doch ich blieb dort sitzen, wo ich war, und er war weg. Ich fühlte mich niedergeschlagen, nahm die Werwolf-Bücher und brachte sie zur Bibliothekarin, um sie mir auszuleihen. Als das erledigt war, ging ich selbst zur Tür– es läutete beinahe schon zur dritten Stunde. Vielleicht konnte ich mich ja in die Klasse schleichen, ohne dass mich jemand bemerkte. Als ich an dem Tisch vorbeiging, an dem Patrick gesessen hatte, sah ich, was er gelesen und liegen gelassen hatte. Es war ein großes, schwarz eingebundenes Buch. In großen weißen Buchstaben stand da: Serienmörder in Amerika: Im Zentrum der Furcht selbst. Nun. Das war… interessant. Ich war mir nicht sicher, was ich von Patricks ausgewählter Lektüre halten sollte, und verfluchte mich noch immer selbst für meine absolute Unfähigkeit, es einfach auszuprobieren und mit einem Jungen zu sprechen. Dann zog ich los, um dem Rest des Schultags ins Auge zu sehen.
11
Das Emily- und Megan-Milchshake-Spektakel
Es war Freitagabend. Alle wollten das Überstehen der ersten Schulwoche feiern, endlich Zeit haben, ausflippen und Party machen. Das heißt, alle, die sich nicht gerade für die Beerdigung eines Mädchens zurechtmachten, das Anfang der Woche gestorben war, im Krankenhaus auf Nachrichten über den Gesundheitszustand eines Jungen warteten, der angeschossen worden war, oder zu Hause hockten, weil sie Angst hatten vor dem durchgedrehten Killer, der da draußen herumlief und wahllos Teenager umnietete.
Oder die Emily hießen und keine Freitagabend-Partys hatten, die sie hätten besuchen können– und die ohnehin Hausarrest hatten, sodass sie sogar im Fall der Fälle gar nicht hätten ausgehen dürfen. Ich liebte meinen Dad, aber Fakt war: Manchmal hatte er nicht die geringste Ahnung, wie sich Eltern zu verhalten hatten. Nachdem sie herausgefunden hatten, dass sich ihr Kind die ganze Nacht über betrunken hatte, wären die meisten Eltern nicht dazu geneigt gewesen, ihnen zu erlauben, dass am Abend darauf eine Freundin vorbeischaute, nicht einmal unter dem Vorwand, dass besagte Freundin auf einen aufpassen würde. Sie würden auch nicht bezüglich des Fernsehverbots weich werden, damit sich die Freundin ihres Kindes nicht langweilte, und sie würden wahrscheinlich auch nicht ausgehen und ihr Kind alleine zu Hause lassen. Ich kann jedoch meinem Dad keine allzu großen Vorwürfe machen. In den vergangenen sechzehn Jahren hatte er sich über Bestrafungen noch nie den Kopf zerbrechen müssen. Und ich war sein
Weitere Kostenlose Bücher