Die Verwandlung
kleines Mädchen– ganz egal, wie wütend und hinters Licht geführt er sich fühlte, war es wohl einfach, mir zu verzeihen. Ich nehme an, meine Stiefmutter versuchte, ihm zu erklären, wie man mit einem Mädchen im Teenageralter umgehen sollte, aber Tatsache ist auch: Mein Dad kann unglaublich stur sein, wenn er es darauf anlegt. Und so landeten Megan und ich am Freitagabend alleine bei mir zu Hause und sahen uns im Wohnzimmer einen zwanzig Jahre alten Horrorstreifen an. Mein Dad und Katherine hatten schon vor meiner wilden Darbietung auf Mikey Harris’ Party Pläne für diesen Abend gehabt. Dawn als attraktive junge Collegestudentin war ebenfalls aus. Sie hatte ihre Alltags-Jeans und Alltags-Tops, die sie in der Schule trug, abgelegt und sich in ihre verrückten Klub-Klamotten geworfen, die ich letzten Endes stets zu stehlen pflegte, wenn bei mir die Nacht das Kommando übernahm. Kurioserweise schienen alle drei aus irgendeinem Grund darauf zu vertrauen, dass ich mich heute Abend nicht wieder so aufführte. Hätten sie nur gewusst, dass ich mir das nicht wirklich aussuchen konnte.
» Dieser Film ist schrecklich « , erklärte Megan, während sie mit angezogenen Beinen auf der Couch saß. Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete die DVD aus.
Ich ließ sie gewähren, denn ich war mit meinen Gedanken ganz woanders und hatte dem Film ohnehin kaum Beachtung geschenkt. Was ich jedoch davon mitbekommen hatte, war tatsächlich schrecklich gewesen. Da waren die blutrünstigen Effekte in den selbst gedrehten Filmen, die Megan und ich mit zwölf Jahren gemacht hatten, noch besser gewesen– ich hatte dabei die Monsterjägerin, sie das Monster gespielt.
Es war erst 19 . 45 Uhr. Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit, bevor ich mich in die Nächtliche Emily verwandelte und Megan mich an eine Tragbahre gurten müsste oder was auch immer sie sich ausgedacht hatte, um mich davon abzuhalten auszugehen.
» Und was machen wir jetzt? « , fragte ich. » Wir könnten uns einen anderen Film ansehen, aber die kennen wir alle schon… vielleicht sollten wir uns ein Musical herunterladen… «
Megan zuckte die Achseln. » Ich habe keine Lust auf Singen. Außerdem bleibt uns bis zu deiner vermeintlichen › Veränderung‹ gerade mal eine halbe Stunde. « Sie zappte durch die verschiedenen Kanäle, bis sie auf eine Wiederholung von Ms. Nguyens Talkshow stieß. Megan kicherte und ließ sie weiterlaufen, während Ms. Nguyen– im blaugrünen Hosenanzug– auf Vietnamesisch plauderte, vermutlich über das unscharfe Standbild eines UFO s, das am oberen linken Bildschirmrand zu sehen war. » Ich weiß « , sagte sie, stellte Ms. Nguyen auf stumm und drehte sich auf der Couch zu mir um. » Willst du wissen, was mir Lucas vorhin erzählt hat? Über Emily C. und Dalton? «
Ich zögerte und meinte dann: » Was ist mit ihnen? «
» Deputy Jared hat ein paar Fotokopien von den Polizeiberichten gemacht. Absolute Insiderinformationen darüber, was sich abgespielt hat. «
Ich blinzelte. » Na ja, klingt irgendwie morbide. «
Megan zuckte mit den Schultern und vergrub sich in die Bettdecke. Sie ließ ihre Finger über die Armlehne tanzen. » Du weißt ja, es heißt, Emily C. rannte ganz alleine und nur im Flanellschlafanzug herum? Sie lief etwa fünf Kilometer barfuß. Was nicht erwähnt wurde, ist, dass sie sich drei Blocks von der Stelle entfernt, an der sie starb, den Fuß aufschnitt. Sie hatte eine große Wunde an der Ferse. Die Forensiker meinten, dass man aufgrund der Spur, die sie hinterließ, davon ausgehen könne, dass sie es nicht einmal bemerkt hatte und einfach weiterlief, während sie eine Blutspur nach sich zog. Nachdem ihre Eltern meinten, dass sie sich an jenem Abend seltsam benommen hätte, wurde ein Bluttest gemacht. Und stell dir vor: Sie hatte weder Drogen, noch Alkohol oder sonst etwas zu sich genommen. «
Die Vorstellung ließ mich erschauern: Die geschmeidige, wunderschöne Emily Cooke ging wie in Trance die dunkle Straße entlang, ihr blondes Haar wehte in der Brise; sie sah wie ein Gespenst aus. Die dunkle Spur, die sie nach sich zog, bestand aus roten Fußabdrücken, die den Gehweg säumten… Ich erinnerte mich an Emily Cookes Geschichten, ihre Fotos, die witzigen Bemerkungen, die sie ihren Freunden geschrieben hatte. Wenn ich mir vorstellte, wie sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens gewesen war, machte mich das betroffen, wenn ich auch nicht ganz verstand, weshalb. » Megan « , flüsterte ich.
Sie
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