Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
Vom Netzwerk:
Herzen: süßer Tod, süßer Tod zwischen dem Abend- und Morgenrot   …
    Martin spürte, wie ein Bedürfnis nach Tränen in ihm aufstieg. Nicht weinen, dachte er. Du bist ein Junge und da ist nichts. Das bildest du dir nur ein. Kein Wunder, bei all diesen kalten Grabplatten und den Toten, die von Säulen herunterblickten und in einem endlosen Leichenzug über Friese liefen. Hier wohnten die Toten.
    »Martin! Wo steckst du?«
    Die Stimme seines Vaters rettete ihn. Vater musste unten am Turmeingang stehen. Martin brachte keinen Ton raus, lief aber so schnell er konnte hinunter.
    »Hier spukt es«, rief er, unten angekommen.
    »Du schon wieder mit deiner Phantasie«, sagte der Vater gutmütig.
    »Kloster Eberbach ist kein Ort für Geister, mein Junge, selbst die ehemalige Bibliothek nicht, in der du warst«, sagte der Verwalter, der hinter dem Vater auftauchte. »Aber hier haben ganz reale Menschen viel Unheil angerichtet.«
    »Ich habe es ganz deutlich gespürt.«
    »Wir gehen in die Kirche«, sagte der Vater. »Aber benimm dich nicht so wie gestern! Die Kirche ist zwar kein Bethaus mehr, aber trotzdem ein würdevoller Ort.«
    »Ich zeige dir, deinem Vater und deinem Großvater das Grab«, erklärte Rosenthal verschwörerisch. »Aber seid vorsichtig, denn man weiß nie   …«
    Rosenthal ließ den Satz unvollendet. Martin beendete ihn mit einem stummen: »…   es ist hier ja alles überirdisch.«
    Martin warf noch einen Blick zurück, dann folgte er den Erwachsenen.
    Der Aufgang zum Dormitorium war mit einem roten Band abgesperrt. Rosenthal lüftete es. Martin wollte den lachenden Abt begrüßen, aber der Vater zog ihn weiter. Sie gingen durch die Pforte, an der während des Konzertes die tuschelnden Männer gewartet hatten. Dann standen sie vor dem Tresorraum. Das Grab war geöffnet worden, der Grabdeckel zur Untersuchung in den Klosterwerkstätten fortgeschafft. Es war nicht viel mehr zu sehen als Erdaushub. Martin war enttäuscht.
    »Wonach suchen Sie jetzt noch?«, fragte Martin Velsmann.
    »Wir suchen, was wir finden können«, rang sich der Verwalter einen Scherz ab. »Aber im Ernst: Ich weiß es selbst nicht genau. Ich vermute nur, dass an einem solchen Fundort noch andere Entdeckungen zu machen sind, so wie ein Fliegenpilz im Wald Steinpilze in der Nähe anzeigt. Und dann weiß ich noch, dass die Stücke, die in diesem Grab lagen, hochbrisant sind, egal aus welcher Zeit sie stammen.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja.«
    »Für einen Polizisten ist das kein Tatort«, wandte Velsman ein. »Das hier interessiert nur Archäologen.«
    »Es ist ein Tatort«, erwiderte Rosenthal schnell, »und was für einer! Es ist ein mit Untaten vollgesogener Tatort wie sonst nur einer, glauben Sie mir.«
    »Nun, es ist jedenfalls Ihr Tatort, Rosenthal, nicht meiner.«
    »Ja, deshalb haben wir uns jetzt auch entschlossen, die Behörden einzuschalten. Ich kann das allein nicht verantworten, da haben die Mitarbeiter schon recht. Ich habe ja vorhin angedeutet, dass de Rancé eine Rolle spielen könnte. Ich erzähle Ihnen noch was von ihm.« Der Verwalter kehrte seinen drei Besuchern den Rücken zu. »Es ist eher eine Ahnung. Ich spüre seine Gegenwart. Ein solcher Mensch ist nicht totzukriegen, nicht mal in Jahrhunderten.«
    »Wenn es stimmt, was Sie sagen«, warf der Großvater ein, »ist dieser Mönch im Jahr 1700 gestorben. Wenn Sie also nicht an Untote glauben, was ist dann mit ihm los?«
    Siebzehnhundert, dachte Martin, lange her, wie lange genau? Er konnte es nicht gleich ausrechnen, es hatte jedenfalls etwas mit der Zahl Sieben zu tun, die in diesem Kloster eine komische Rolle zu spielen schien.
    »Armand-Jean Le Bouthillier de Rancé«, sagte der Verwalter, »war eine schillernde, zerrissene, besessene Figur. Sein Name bedeutet ins Althochdeutsche übersetzt, der Heeresmann. Und so wurde er auch genannt, der unbarmherzige Heeresmann . Wenn es je einen Erzengel auf Erden gab, mit dem Menschen zu tun hatten, dann war es de Rancé.«
    Martin dachte: Der war vorhin im Kreuzgang, ich habe ihn weglaufen gesehen. Nein, ich habe es nur gespürt. Aber er war da.
    »Sie erzählten uns, er hat in Frankreich gelebt, was hat dieser Mensch also mit dem Kloster Eberbach zu tun?«, blieb Velsmann skeptisch.
    »Hören Sie, Martin«, sagte Rosenthal, »ich will Ihnen hier beileibe keine Gespenstergeschichten auftischen. Wenn Sie mir nicht glauben, dann ist es auch gut. Aber wenn Sie alle Tatsachen aus der Geschichte kennen würden, dann  

Weitere Kostenlose Bücher