Die verzauberten Frauen
auch nie anerkannt.«
»Er befindet sich in guter Gesellschaft mit ganz anderen Unheiligen.«
»De Rancés Charakter hat sich komplett gewandelt. Er krempelte das Kloster von La Trappe vollständig um. Selbstverleugnung, Demut, Askese und härteste Arbeit war jetzt sein Programm. Er und seine Gefolgsleute aßen, schliefen und arbeiteten in völliger Stille, sie verzehrten weder Fleisch, Fisch noch Eier. Auch jegliche intellektuelle Tätigkeit war streng verboten. Es kam bald zu Gewalthandlungen, weil die Mönche sich gegen seine harte Hand stemmten. Sie drohten damit, ihn zu erstechen oder im Klosterteich zu ertränken. Er kam ihnen zuvor. Etliche starben, der Rest flüchtete in die umliegenden Wälder. Er ließ morden oder mordete selbst, verstehen Sie?«
»Wir sprechen von einem Mönch?«
»Eben. Von einem tief gläubigen Mönch.«
»Erstaunlich.«
»De Rancé siedelte nun Mönche aus dem Kloster Perseigne an, einem Reformkloster innerhalb des Zisterzienser-Ordens, das waren handverlesene, beinharte Leute. Und das seltsame ist, La Trappe wurde zum Zentrum des religiösen Lebens in Frankreich! De Rancé muss sich auf mächtige Hintermänner verlassen haben, die ihn trotz seiner menschenverachtenden Handlungen schützten und förderten, jetzt empfing er sogar die Abtsweihe. Man kann ihn als reuigen Sünder sehen, denn anfänglich lehnte er jegliche Klosterpflicht ab. Wenn Sie etwas für Zahlenmystik übrig haben, Herr Kleinthaler: Sieben rätselhafte Schriften, sieben Mal am Tag mussten sich die Mönche zum Stundengebet im Oratorium versammeln, na ja, ich könnte noch mehr Parallelen nennen … jedenfalls starb er am 1. Januar 1700, keinen Tag früher, keinen Tag später. Sein Orden nannte sich Ordo Cisterciensis Strictioris Observantis .«
»Lassen Sie mich raten, das heißt: Zisterzienser der strengeren Observanz. Abgekürzt
Ocso
. Lassen Sie uns dieses Kürzel benutzen, wenn wir von der dämlichen Prophezeiung dieses de Rancé sprechen.
Ocso
. Ich kann das Wort Prophezeiung nicht mehr hören.«
»Die Sache wird dadurch nicht einfacher. Offenbar wollte de Rancé Buße tun, weil er auf unwürdige Art Priester geworden war. So wie er bis zu seinem Tod lebte, in völliger Stille, Armut, Askese und Einsamkeit, gnadenlos gegen seine Mitbrüder, voller Hass auf die weltliche Welt – er ist ein Monstrum gewesen.«
»Und jetzt taucht er wieder auf?«
»Wenn er tatsächlich der Verfasser der eingesargten Schrift ist, dann ja.«
»Davor müssen wir doch wohl keine Angst haben?«
»Lassen Sie das vorerst unter uns bleiben, Herr Kleinthaler. Wir wollen niemanden erschrecken.«
»Wir sollten diese Schrift vergessen, meine ich. Wenn sie verschwunden ist, umso besser. Keine Prophezeiung, kein Weltuntergang.«
»Wenn es so einfach wäre!«
»Es ist doch die Angst, die uns peinigt, die Einbildung, der Alptraum. Das ist doch schlimmer als die Wirklichkeit. Niemand glaubt doch tatsächlich an die Existenz von so was!«
»Ich könnte mir vorstellen, dass es jemanden gibt, der das Omen verschwinden lassen will. Und einen anderen, der will, dass wir es lesen.«
»Tatsächlich? Wie kommen Sie denn darauf?«
»Instinkt, Herr Kleinthaler. Vielleicht hat es damit zu tun: Tatsache ist, dass de Rancé einen Nachkommen hatte. Das ist belegt. Und es gab weitere Nachkommen, das ist bis zum Jahr 1801 nachvollziehbar. Niemand weiß, wo und wie die folgenden kleinen Armands gelebt haben. Sie tauchen im Dunst der Geschichte unter. Vielleicht haben wir es in Kloster Eberbach mit einem von ihnen zu tun.«
»Sie wissen ja, dass ich mich eher den Finanzproblemen und der Kameralistik widme. Das andere war schon immer Ihr Gebiet. Sie haben ein Faible für solche flirrenden Papierfahnen im Wind, stimmt’s?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen!«
»Ist
Ocso
noch heute tätig?«
»Und wie! Es gibt weltweit über hundert Männerklöster mit dreitausend Mönchen und siebzig Frauenklöster mit zweitausend Nonnen. Wer von ihnen allerdings auf de Rancé schwört, das weiß ich nicht. Die Rancéisten waren immer nur eine verschwiegene Loge innerhalb des Vaterordens, der Trappisten. Und diese gehen auf den Kartäuser-Orden zurück, der im Jahr 1084 von Bruno von Köln gegründet wurde und noch strengere Regeln besaß, das ging an die Grenze zum kreatürlichen Vegetieren. Also wir haben es mit wahrhaft Glaubenden zu tun, mit grundehrlichen, überzeugten Fundamentalisten. Und de Rancé ist nur für einige von ihnen der
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