Die verzauberten Frauen
Frage von Herrn Anderman darauf zielt – da hat er recht.«
»Wieso denn?«, fragte der Kurier mit ängstlicher Stimme.
»Weil dann andere Spieler mit an unserem Tisch sitzen, die wir nicht kennen, verehrter, junger Kollege, das ist doch offenkundig! Dann bekommt die Sache eine andere Richtung.«
»Rufen Sie die Kollegen in Ehrenbreitstein noch einmal an, lieber Rosenthal!«, sagte der a.D. »Fragen Sie, wie die Dinge stehen. Rufen Sie alle halbe Stunde an. Das alles macht mich komplett nervös!«
Rosenthal seufzte. Dann erhob er sich und ging ins Nebenzimmer.
»Sie haben es Brendenahl, Kohler-Schmitt, Dinslaken und diesem Önologen nicht gesagt, und das ist auch gut so«, sagte der Stiftungsbeauftragte Kleinthaler verschwörerisch. »Aber erzählen Sie es mir. Erzählen Sie mir von diesem Monstrum, Rosenthal. Vielleicht sehe ich so klarer. Ich mag diese Geheimniskrämerei nicht, ich muss etwas Greifbares in die Hände kriegen!«
»Wir sollten uns nicht an solchen Geistern festkrallen, Herr Kleinthaler. Das ist nicht gut für uns. Unser Gedächtnis macht damit eigentümliche Dinge.«
»Gehen wir ein paar Schritte.«
Kleinthaler und Rosenthal postierten sich im Schatten des Kreuzganges vor dem kühlenden Brunnen, der vom einstigen barocken Brunnenhaus übrig geblieben war. Die Fontäne brach sich in Tausende von winzigen Wasserperlen. Für die Zisterzienser war das Wasser lebensnotwenig gewesen, es war ihr Zauberelexier.
»Wenn man sich mit diesen Dingen beschäftigt«, sagte Rosenthal sanft, »dann bleibt etwas für immer in uns zurück. Und das ist nicht ungefährlich. Unsere Bereitschaft steigt, überall das Unheil zu sehen. Wesen wie de Rancé verdüstern unseren Glauben an die Schönheit und Reinheit der Schöpfung.«
»Und wir müssen uns diesen Gestalten dennoch stellen! Sie gehören dazu. Die Reinheit wird nur über die Gegenwart des Schmutzes erfahrbar.«
»Gut, wenn Sie wollen!«
»Außerdem haben Sie diesen Kerl ins Spiel gebracht!«
»De Rancé war ein Unhold, einer der fürchterlichsten Menschen seiner Zeit«, sagte Rosenthal nachdenklich. »Das kann aber eine ungerechte Sicht sein, denn ein paar seiner Zeitgenossen hielten ihn durchaus für Gott, sie beteten ihn an.«
»Ich verstehe schon, sie sahen ihn als erleuchteten Türsteher einer Geheimloge, das Übliche.«
»Nicht ganz, es hat mehr Format. Das werden Sie gleich begreifen. Armand-Jean Le Bouthillier de Rancé kam aus französischem Adel. Mit elf Jahren erhielt er die Domherrenstelle von Notre Dame in Paris und fünf Abteien, darunter La Trappe, als Pfründe. Im Alter von zwölf verfasste er bereits sein erstes Buch, gewidmet seinem Patenonkel, dem Kardinal Richelieu. Mit vierzehn empfing er die Priesterweihe. Man kann also von einer erstaunlichen Karriere sprechen. Aber er weigerte sich, den Hof von Paris zu verlassen. Dort lebte und hurte dieser blutjunge Priester wie ein Vieh, richtig ekelhaft. Sein Tun war legendär, sowohl bei seinen Anhängern wie bei seinen Feinden. Nach dem Tod seiner Eltern nahm er Kontakt auf zu einer vierzehn Jahre älteren Herzogin, einer gebürtigen Marie d’Avaugour de Bretagne. Sie brachte ihm Manieren bei und führte ihn in die gehobene Gesellschaft ein. Diese Duchesse de Montbazon war eine geheimnisumwitterte, hochinteressante Frau mit Affären, Intrigen, Verbannungen und etlichen Liebhabern. Donizetti schrieb später für sie die Oper Maria di Rohan .«
»Ah, tatsächlich?«, entfuhr es Kleinthaler. »Die kenne ich noch gar nicht.«
»Im Leben Armands hat die Duchesse mehrere Rollen gespielt. Offenkundig war sie auch seine Geliebte, eine wahrhaft liebende Frau, ein Engel. Und jetzt kommt es. Offenkundig hat er im Jahr 1638 mit ihr einen Nachfolger gezeugt, da war er fünfzehn, ein katholischer Priester wie gesagt, sie war neunundzwanzig. Diese Maria starb wenige Tage nach der Geburt unter rätselhaften Umständen. Man munkelte damals, de Rancé habe sie umgebracht, weil sie seine Erleuchtungen belacht hatte. Am gleichen Tag verschenkte de Rancé sein gesamtes Vermögen, bekehrte sich zu einem erzkonservativen Erzengel und verbarrikadierte sich bis zu seinem Lebensende im Kloster.«
»Ich kann noch nicht sehen, warum dieser Mann ein Monstrum gewesen sein soll.«
»Es reicht Ihnen noch nicht?«
»Ich kenne schlimmere Biografien, lieber Rosenthal.«
»Die Kirche hat ihn immerhin so gefürchtet, dass sie es nicht wagte, wegen seines sündhaften Lebens nach ihm zu greifen. Sie hat ihn aber
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