Die verzauberten Frauen
nicht!
»Vergiss nicht, dass wir heute Abend Besuch bekommen, Liebster!«
Martin Velsmann umarmte seine junge Frau, als wolle er sie nie mehr loslassen.
Im Präsidium begann an diesem Tag eine neue Kollegin ihren Dienst. Martin Velsmann traf früh genug im Büro ein, vor allen anderen. Er wollte sie in Ruhe erwarten, sie würde seine Assistentin sein. Karen Breitenbach. Velsmann wendete den Namen hin und her. Er fand nichts daran auszusetzen. Er nahm sich noch einmal die Personalakte vor.
Die junge Frau war dringend empfohlen worden. Aber Erfahrung im Polizeidienst besaß sie noch keine. Das war merkwürdig, wenn auch nicht einzigartig. Es kam schon mal vor, dass die Polizeischule dringende Empfehlungen aussprach. Vielleicht besaß sie auch einen ganz persönlichen Fürsprecher. Nun, er würde sich selbst ein Bild machen. Velsmann wusste, die Zuteilung einer neuen Assistentin würde für ihn einen Schritt nach oben bedeuten. Das sahen die Spielregeln vor. Kein Siebenmeilenschritt, aber ein Hüpfer auf der Karriereleiter. Inspektor ade, willkommen Kommissar. Einen Bonus für die Neue bedeutete das aber nicht – nahm er sich vor.
Er sah die junge Frau schon von weitem durch die Glasfenster der Bürozimmer. Sie kam den Flur herunter mit diesem ganz speziellen Gang, sah nicht nach rechts und links in die offenen Zimmer und machte an seiner Tür eine so schwungvolle Bewegung, als hätte sie das einstudiert. Sie öffnete die Tür und ließ sie gegen den Rahmen knallen, was Velsmann überhaupt nicht leiden konnte. Enger, grauer Rock, weiße Bluse, Nadelstreifenjackett mit wattierten Schultern. Ein bisschen zu schlank. Ein bisschen zu groß. Eine linke Kinnpartie, als würde sie Geige spielen. Aber die Augen, das musste der Beobachter zugeben, waren schön. Braun, groß, oval, sanft, ohne zu blinzeln, ihre zweifelsfrei vorhandenen Augendeckel schien sie nicht zu benutzen. Und ihr Haar fiel ihr über Hals und Schultern, als sei es gerade eben erst gekämmt worden.
»Karen Breitenbach, bereit, sich ab heute in Ihr Leben zu bohren, Inspektor Velsmann!«
Velsmann stand auf. Er streckte seine Hand aus. Sie zögerte, trat dann auf ihn zu und nahm die Hand. Ihre war trocken und kühl, mit einem selbstverständlichen Druck.
»Das glaube ich kaum«, sagte Velsmann. »Nehmen Sie doch Platz.«
»Was glauben Sie nicht?«
»Dass Sie in meinem Leben irgendwas bohren werden.«
»Warten Sie. Sie kennen meine Qualitäten nicht. Ich segle, ich sammle Eidechsen, ich spiele ein Instrument, ich besitze eine Sammlung von –«
Velsmann unterbrach sie. »Und ich habe lauter schöne Gedanken im Kopf, und ich liebe Gedichte. Soll ich Ihnen eins aufsagen?«
Sie lachte. »Nur zu.«
Velsmann sagte stattdessen: »Was ich Ihrer Personalakte entnehme, ist etwas anderes. Sie sind überqualifiziert, überragender Quotient, wollten eigentlich Philosophie studieren, um Lehrerin zu werden. Warum kommen Sie zu uns?«
»Unser Land braucht gegenwärtig keine Lehrerinnen, auch keine Lehrer übrigens, überhaupt keine Geistesarbeiterinnen, auch keine Geistesarbeiter übrigens. Sie werden jedenfalls nicht eingestellt, und das wird sich eines Tages rächen. Ja, deshalb bin ich hier.«
»Aha.«
»Aufgeräumt werden muss immer.«
»Mmh.«
»Ich werde Ihnen eines Tages meine Sammlung von eingeschweißten, selbst gemachten Fotos zeigen, Schnappschüsse mit irren Themen, vier mal sechs Zentimeter, das weiß ich.«
Velsmann atmete aus. »Und ich werde Ihnen meinen gezackten Schmetterling zeigen, der ständig in mir flattert.«
»Ich sehe Ihnen an, dass Sie schon jetzt ganz wild darauf sind.«
»Hören Sie, können Sie sich zu der Erkenntnis durchringen, dass Sie mit Ihrem Vorgesetzten reden?«
»Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten, aber wenn Sie jetzt schon beleidigt sind, hat es sowieso keinen Zweck mit uns.«
»Lernt man das auf der Polizeihochschule? In meinen Augen müssen wir zusammen einen Job erledigen. Da spielt es keine Rolle, ob wir uns leiden können.«
»Das sehe ich ganz anders. Fahndungserfolge können davon abhängig sein, ob die Chemie stimmt.«
»Jetzt setzen Sie sich doch einfach mal hin!«
Sie nahm wortlos Platz. Velsmann studierte ihren ruhigen Blick. Endlich , sagte etwas in ihm. Er wusste nicht gleich, was dieses Wort im Moment zu bedeuten hatte. Dachte nach. Endlich mal eine junge Frau, die keine piepsige Stimme hat. Das war’s. Und wahrscheinlich hat sie auch sonst einiges drauf.
Sie wartete ab.
Nein, dachte er,
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