Die verzauberten Frauen
sie hat Humor, das ist es, was mir richtig gut gefällt. Bei all den staubtrockenen Aktenleckern hier. Die Kolleginnen haben am allerwenigsten Humor. Die Angst, verletzt zu werden, lässt sie versteinern.
»Sie können sich also vorstellen«, sagte er vorsichtig, »an meiner Seite bei der Kripo Fulda zu arbeiten?«
»Ganz sicher.«
»Was macht Sie so sicher?«
»Sie haben eine angenehme Ausstrahlung auf mich, ganz einfach.«
»Und wie wirkt sich das bei Ihnen aus?«
»Sie sind kein Macho, keiner der üblichen Bullen, die sofort breitbeinig dastehen, wenn eine Frau auftaucht.«
»Feministin?«
»Was dagegen?«
»Wenn Sie mich damit in Ruhe lassen, überhaupt nicht.«
»Das hängt von Ihnen ab, nicht von mir.«
»Unsinn«, sagte Velsmann. »Das hängt von Ihren Vorurteilen ab.«
»Und ich, wie wirke ich auf Sie?«
»Pfft!«, machte Martin Velsmann. »Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Würde ich sonst fragen?«
»Keine Ahnung. Ich kenne Sie ja gar nicht.«
»Eben, das wird sich ändern. Ich kenne den Polizeidienst noch nicht, aber ich weiß, dass man sich im Team ziemlich auf die Pelle rückt. Da lernt man sich kennen. Und besser, man kann sich von Anfang an ein bisschen genauer einschätzen. Muss ja nicht Zufall sein, dass man ein paar Dinge vom anderen erfährt, über die man dann überrascht ist.«
»Na, erzählen Sie mir nicht gleich alles von sich. Das hat Zeit. Im Moment gibt es zwar nicht viel Arbeit, aber auch die muss gemacht werden.«
»So sehen Sie das also, die Bürokratentour. Ich habe eher moralische Vorstellungen.«
»Ach was!«, sagte Velsmann. »Sie wollen die Welt verbessern?«
»Ganz genau, das möchte ich sehr gern.«
»Ich auch«, sagte Velsmann. »Deshalb bin ich Polizist geworden.«
»Na also!« Sie sah ihn fröhlich an. »Haben Sie das schon mal jemandem gestanden?«
Velsmann zögerte. »Nein. Dafür wird man bei der Polizei nicht befördert, sondern ausgelacht.«
»Wollen Sie denn befördert werden?«
»Nichts mehr als das, meine Liebe, ganz, ganz ehrlich.«
Sie beugte sich vor. »Glauben Sie mir, Herr Velsmann, ich würde Sie dafür niemals auslachen. Ich werde einen Job übernehmen, okay, aber ein bisschen mehr darf’s doch wohl sein.«
»Gut, lassen wir das. Für Weltanschauungen ist vielleicht nach dem Essen noch Zeit. Ich schlage vor, wir machen einen kleinen Rundgang. Erst durch die aktuellen Fälle. Dann, gegen Mittag, durch das Präsidium. Ich stelle Sie den Kollegen und Kolleginnen vor, mit denen Sie arbeiten werden. Anschließend gehen wir in die Kantine.«
»Wie romantisch.«
»Das muss genügen. Mehr kann ich im Moment nicht anbieten.«
»Wir können gleich loslegen«, sagte sie. »Wo ist hier die Toilette?«
»Ähh …«
»Ich muss mal.«
Velsmann erklärte es ihr.
Als sie ging, ließ sie die Tür offen. Er rief ihr nach. Sie kam zurück. Er deutete auf die Tür.
»Ach so«, sagte sie. »Ich dachte schon, Sie wollen mich feuern.«
Den Einstieg hätten wir, dachte Inspektor Velsmann.
Seine Stirn saß wie ein Felsklotz auf seinem Gesicht und drückte es zusammen, quetschte es in die Breite, Augenpartie, Nase und Mund schwammen darin wie Fremdkörper. Die Stirn blieb blass wie ein künstlicher Körperteil, auch jetzt in der Anstrengung, während sein Gesicht sich rötete und schwitzte. Ein farbloser Haarkranz rutschte seitlich nach hinten bis in sein bulliges Genick. Martin Velsmann ließ sich von seinem Anblick nicht täuschen, er hatte schon andere Gesichter gesehen, die eine bedrohliche Geschichte erzählten. Dennoch war er überrascht, als er seine Stimme hörte. Sie klang wie die eines traurigen, zärtlichen Menschen. Sein Gegenüber sagte: »Liebe zum Universum, oder zur Menschheit. Das muss jeder selbst entscheiden. Wissen Sie, wer das gesagt hat?«
»Leider nicht.«
»Wilhelm Furtwängler, der große Dirigent. Er kämpfte zeitlebens mit dieser Alternative.«
»Und, hat er sich entschieden?«
»Sie wissen es nicht?«
»Nein, ich bin kein Kenner klassischer Musik. Das einzige Konzert, das ich je hörte, gab es im Kloster Eberbach. Das muss mehr als zwanzig Jahre her sein. Ich war noch ein Junge.«
»Furtwängler hat sich letztlich für beide Seiten entschieden. Das machte seinen Fall so dramatisch.«
»Und warum erzählen Sie mir das?«
»Ich suche gerade selbst nach einer Entscheidung. Man muss sich tatsächlich entscheiden, finden Sie nicht?«
Velsmann machte eine ungeduldige Geste. »Ich muss im Augenblick andere
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