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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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um sich zu werfen, die sich auf das Alte beziehen.«
    Überrascht von der Heftigkeit, mit der Faust diese Sätze herausstieß, versuchte Velsmann, noch eine andere Frage loszuwerden. »Wenn Sie an historischen Texten orientiert sind, können Sie mir vielleicht sagen, ob ich gänzlich daneben liege, wenn ich mir vorstelle, dass die Romantiker um Clemens von Brentano den romantischen Rhein als eine Art Heimat für alle empfindenden Seelen ansahen   –«
    »Das ganz gewiss«, unterbrach ihn Faust.
    »Ich war noch nicht fertig«, sagte Velsmann. »Sahen die Romantiker den Rhein als eine Art   … supranationaler Weltheimat für eine geistige Elite? Als einen zutiefst eingebildeten, aber vielleicht auch ganz realen Ort der Herrschaft, mit seinen auffällig vielen Höhenburgen? Ist so was denkbar? Man hat ja den Eindruck, von hier aus, von diesen Höhensitzen aus, konnte man das Denken und Empfinden der Deutschen leiten und kontrollieren.   – Sagen Sie mir, wenn ich auf Abwegen bin.«
    »Sie sind auf Abwegen. Aber trotzdem haben Sie recht. Genauso dachten einige Romantiker. Wenn es um Höhenburgen geht, denken gewöhnliche Menschen an die Schrecken herrschaftlicher Willkür oder an Schauergeschichten mit Gespenstern, flackernden Kerzen und weißen Frauen. Wie Brentano darüber dachte, ist ja seinem Werk zu entnehmen. Seine Romantikerfreunde sahen den Rhein und seine Burgen in jedem Fall so   – als Sitz einer geistigen Elite.«
    »Und heute?«
    »Weiß ich nicht. Die meisten Burgen sind ja zerstört. Von den noch existierenden, müssten Sie die alten oder neuen Besitzer fragen.«
    »Existieren noch alte Besitzer und ihre Familien?«
    »Natürlich!«, sagte Faust schroff. »Oder glauben Sie, das steht alles leer? Aber jetzt muss ich mich verabschieden. Ich bin angelangt.«
    Velsmann schrieb ihm seine Faxnummer auf und bedankte sich. Er sah dem Historiker nach, der jetzt in einen ganz normalen Schlenderschritt verfallen war, ein älterer Herr mit weißem Haar und sehr viel Zeit.

    Velsmann rief seine Frau an und kündigte seine Rückkehr an. Dann meldete er sich im Fuldaer Präsidium an und erfuhr, dass nichts für ihn vorläge. Als er wieder aufgelegt hatte und durch die Frontscheibe sah, dass Wolken den bisher blauen Himmel zu bedecken begannen, die vielleicht Regen brachten, schlug das Mobiltelefon an.
    Sievers sagte: »Sie können die Kopie einsehen. Und da ich ein Romantiker bin, schlage ich vor, ich zeige Sie Ihnen nach Einbruch der Dunkelheit auf der Loreley. Was halten Sie davon?«
    »Lieber wäre mir, ich könnte Sie mir im Brentanohaus ansehen.«
    »Das geht nicht, weil ich gar nicht mehr dort bin. Ich musste nach Ehrenbreitstein. Auf der Rückfahrt komme ich an der Loreley vorbei.«
    »Ach so.   – Gut. Ich komme auf die Loreley, wenn Sie wollen. Was ist bei Ihnen nach Einbruch der Dunkelheit ?«
    »Um diese Jahreszeit gegen neun.«.
    »Ich werde da sein.«
    Ein Romantiker? Wohl eher ein Wichtigtuer, dachte Velsmann. Aber gut, er tut ja was für mich.
    Velsmann rief Andrea an und sagte, dass er spät käme. Sie machte ihm eine Szene. Am besten sei es, er käme gar nicht mehr, wo er doch in die Landschaft mehr verliebt sei als in seine eigene Frau. Velsmann ging nicht darauf ein. Noch vor Mitternacht sei er in Fulda, sagte er und legte auf.
    Natürlich hatte sie recht.
    Er ging in einem Gartenlokal essen, das direkt am Rhein lag. Obwohl es nur das Restaurant eines Campingplatzes war, auf dem auffallend viele Holländer rasteten, schmeckte das Essen ausgezeichnet.
    Die Idee mit der supranationalen Weltheimat einer geistigen Elite war ihm ganz plötzlich gekommen. Die Romantiker hatten das also so empfunden, das hatte Dr.   Faust bestätigt. Und heute? Konnte eine solche elitäre Ideologie nicht überlebt haben? Wirkten die wie an der Perlenschnur aufgezogenen Höhenburgen nicht tatsächlich wie ein System von Kontrollposten? Oder suggerierte ihm das nur seine inzwischen übersteigerte Phantasie? Vielleicht trug der Wein zu solchen Sagenphantasien bei, wie der Referent angemerkt hatte. Velsmann nahm einen kräftigen Schluck Riesling aus dem Römer. Als er aufsah, überfiel ihn plötzlich das Gefühl, dass einige Gäste ihn anstarrten, als erwarteten sie etwas von ihm.
    Velsmann versuchte, diesen Eindruck abzuschütteln. Es war Einbildung. Das Woyzeck-Syndrom, dachte er.
    Um acht begann es zu dämmern. Velsmann machte sich auf den Weg rheinaufwärts. Er starrte auf den vorbeigleitenden Fluss, die Bewegung

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