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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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verberge sich doch mehr. Dass der Brentanokenner ihm gerade diese Passagen vorgetragen hatte, war sicher Zufall, es waren die Stellen, an die er sich eben erinnerte. Velsmann ärgerte sich, dass er nicht mitgeschrieben hatte. Denn eigenartigerweise bekam er jetzt, wo er an der Reling der Fähre stand und in das zügig vorbeigleitende, recht braune Wasser des Rheins starrte, das Gefühl, etwas Entscheidendes überhört zu haben.
    Dieses Gefühl kannte der Polizist. Und es hatte sich immer als zuverlässiger Fährtensucher erwiesen.
    Velsmann verließ die Autofähre und parkte unweit der Uferpromenade. Das Historische Museum am Strom besaß ein öffentlich zugängliches Archiv über die Rheinromantik und ihre berühmten Zeitgenossen. Vielleicht fand er dort etwas, das ihn weiterbrachte.
    Aber solange er nicht genau wusste, was er suchte, bestand die Gefahr, dass er in einem Heuhaufen stocherte.
    Das Museum hatte an diesem Tag nur abends geöffnet. Velsmann musste warten. Er vertrieb sich die Zeit im benachbarten naturkundlichen Kräutergarten, in dem es nach der Zeit der Hildegard von Bingen duftete   – so kam es Velsmann vor. Über den Stauden von Ysop und Medisüß türmten sich am gegenseitigen Rheinufer die Hanglagen des »Rüdesheimer Roseneck« und noch höher das Denkmal mit der Germania, um das winzige Menschenpunkte krabbelten.
    Die Museumsvilla im ehemaligen Elektrizitätswerk von Bingen war kühl und still. Die Ausstellung mit Druckgrafiken des 19.   Jahrhunderts über »Ruinen in der Landschaft« interessierte den Besucher nicht. Die Angestellte händigte ihm einen Bestandskatalog aus. An den vier langen Tischen unter grünen Lampenschirmen saß ein einzelner, weißhaariger Mann und studierte ein weiß eingebundenes Buch. Daneben lag ein anderes mit dem Titel Bingen, die Landesgartenschau und die Rheinromantik , wie Velsmann im Vorbeigehen las.
    Nachdem er Platz genommen hatte, stellte sich Velsmann einige Fragen.
    Die erste, warum er überhaupt diesem lange zurückliegenden Fall nachging, beantwortete er mit: Weil ich es will.
    Nicht eben erwachsen, kommentierte er seine Antwort selbst.
    Die zweite Frage, schon einen Schritt weiter im Selbstverständnis eines Ermittlers, lautete: Warum vergrub Brentano das Pergament im Kloster Eberbach? Wenn er es überhaupt selbst getan hatte. Oder jemand anderes? Dafür wäre höchstens sein Freund Achim von Arnim infrage gekommen, so viel Kenntnis besaß Velsmann inzwischen von Leben und Werk des Romantikers.
    Nach Arnim fahndete der Freund Clemens in der fraglichen Zeit, das hatte Velsmann in einer Biografie gelesen. Der engste Gefährte, mit dem er im Jahr 1801 jene legendäre Rheinreise unternommen und später das erfolgreiche Buch Des Knaben Wunderhorn herausgegeben hatte, verschwand im Jahr 1806 spurlos. Clemens hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, wo der Freund untergetaucht war. Schließlich erfuhr er es. Arnim hatte nach einem Gelage dem preußischen Prinzen Louis Ferdinand seine soldatischen Dienste angeboten und musste ihm in den Krieg nach Ostpreußen folgen. Er war offensichtlich vor Clemens geflüchtet. Aus den Quellen ging hervor, dass dies der einzige Streit im Leben der Freunde gewesen war. Etwas Gravierendes musste geschehen sein. Und auffällig war der Zeitpunkt.
    Brentano hatte in jener Zeit im Kloster Eberbach gelebt. Er musste dort in den Besitz der angeblichen Weissagung gekommen sein. Er hatte das Pergament mit seinem Text überschrieben. Und es im Aufruhr seiner Gefühle vergraben.
    Oder Arnim hatte das getan. Arnim, der Clemens in einem Brief seine Flucht an die preußische Front mit den Worten begründet hatte: Vielleicht war es der Kerl, der hinter mir steht, nach Deiner Ansicht, und der mir zuweilen aus den Augen sieht.
    Eine merkwürdige Briefstelle. Velsmann wiederholte den Satz ein paar Mal. Ein Konflikt wurde sichtbar. Nur die beiden Freunde wussten wohl genau, was damit gemeint war. Was geschehen war.
    Die dritte Frage, die Velsmann sich stellte, betraf den Anlass, den Clemens gesehen hatte, um Handschrift und Kommentar verschwinden zu lassen. Bestand der Konflikt zwischen den Freunden darin, dass der eine die Handschrift begraben wollte und der andere nicht? Wenn ja, warum war das so wichtig? Lag es an ihrem unterschiedlichen Glauben?
    Velsmann hatte schon wieder das Gefühl, sich zu verrennen. Was geht es dich an, dachte er. Die Antwort blieb die gleiche: Ich will, dass es mich was angeht. Ich will es  

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