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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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des Wassers nahm ihn gefangen. Er wurde allmählich ruhiger, ließ sich ablenken. Er stellte sich die Frage, die sich weinselige Männerchöre dauernd stellten. Warum ist es am Rhein so schön? Weil, dachte er beim Weiterfahren, der Strom eine unerschöpfliche Lebensader ist. Weil er sich in seinen Kurven zu Meeren weitet. Weil sich in seiner Mitte rätselvolle Gemäuer wie der Mäuseturm zeigen   …
    …   weil   …
    …   an ihren Hängen Burgruinen stehen, die Geschichten erzählen, weil die Riffe inmitten des Stroms von Tragödien künden und die lautlos dahingleitenden weißen Flotten von Freuden. Weil Fischlein ihre Köpfe aus den Fluten heben und Schwäne hinuntertauchen. Weil hinter jeder Biegung eine neue, geheimnisvolle Welt auftaucht, als hätte die Schönheit kein Ende.
    Darum ist es am Rhein so schön, dachte er.
    Er war gespannt, was Sievers und der Berg seiner Kindheit ihm zu sagen hatten. Und hinterher würde er sich selbst Beine machen, um den Konflikt mit Andrea nicht eskalieren zu lassen.

    Er erinnerte sich. Nur war damals der Parkplatz kleiner gewesen. Jetzt lag er direkt unterhalb des Plateaus. Und die Statue der Frau war verschwunden. Stattdessen gab es eine schlichte Gedenktafel auf einem Stein.
    Velsmann blickte mit weit geöffneten Augen zum Himmel. Wolken flogen am Halbmond vorbei, dann und wann konnte er die Wegführung erkennen, dann wurde es wieder dunkel. Er hätte sich eine Taschenlampe aus dem Auto holen können, wollte aber nicht umkehren. Velsmann blickte sich um. Kein Mensch war zu sehen. Er rief seinen Namen. Keine Antwort. Er musste sich also in Geduld üben und auf Sievers warten.
    Er trat an ein Gitter, das die Besucher der Anhöhe vor einem Sturz in den Abgrund bewahrte. Die Stimmen von Vater und Großvater waren zu hören. Er erinnerte sich an vieles. Der Vater hatte an der Stelle des scheußlichen Verbrechens eine rote Coladose und ein rotes Band gesehen und daraus Tatort-Spuren konstruiert. Lange her. Und doch nicht so lange, dass er nicht noch leben könnte, wenn sein Gallenleiden nicht falsch behandelt worden wäre.
    Velsmann spürte seine Unruhe. Die Libelle in seinem Inneren begann, mit den Flügeln zu schlagen. Hier war der Ort des Verbrechens. Aber Sievers hatte ihn nicht deshalb hierher bestellt. Sondern um ihm eine Kopie dieses mysteriösen Pergaments zu überreichen.
    Es war eine zufällige Übereinstimmung. Oder vielleicht doch nicht?
    Zum ersten Mal dachte Velsmann darüber nach, ob der scheußliche Mord aus dem Jahr 1801 mit dem Grab im Kloster Eberbach, das 1961 entdeckt worden war, in einem Zusammenhang stehen konnte. Aber so sehr er diesen auch zu konstruieren versuchte, es ergab keinen Sinn. Es sei denn, der Ort, an dem er sich gerade befand, würde noch zu ihm sprechen und ihn auf etwas stoßen.
    Oder Sievers würde das tun.
    Die mörderische Jagd war jedenfalls hier beendet worden. Etwas sehr Böses, sehr Blutiges war hier zum Abschluss gekommen. Hatten die Behörden damals die sterblichen Überreste der Opfer gleich an Ort und Stelle begraben? Er hatte darüber nichts in Erfahrung bringen können. Drei Opfer. Oder vier? Was war wirklich geschehen?
    Hier jedenfalls, auf diesem Felsen, lag der Ursprung der Ereignisse, die Velsmann im Moment mehr beschäftigten als alles andere. War er nicht sogar bereit, seine Ehe aufs Spiel zu setzen?
    Was war bloß in ihn gefahren!
    Rede dich nicht mit Kindheitserinnerungen heraus, dachte er, du bist ein vernagelter Bulle.
    Als er sich auf einen Felsstein gesetzt hatte, vernahm er von unten ein Rauschen. Lastkähne zogen durch die Nacht wie vorzeitliche Tiere. Velsmann begann, mit dem Taschenmesser Moos von der Stirnseite des Steins zu kratzen. Hin und wieder blickte er um sich. Von Sievers nichts. Aber er hätte ja zunächst auch sein Auto hören müssen.
    »Wenn Sie verwandt wären mit mir, würden Sie nicht so sorglos hier sitzen!«
    Die Stimme in seinem Rücken war so nahe, dass Velsmann erschrocken aufsprang. Instinktiv richtete er sein Taschenmesser auf den Schatten, der hinter ihm aufgetaucht war. Weil die Wolken sich gerade verzogen hatten, erkannte er Sievers sofort. Der Mondschein ließ den Schatten seiner Felsenstirn über seine Augenpartie fließen.
    »Mann, Sie können vielleicht Leute erschrecken!«
    »Wenn Sie verwandt mit mir wären   …«
    »Was meinen Sie damit!«
    »Ich habe eine Morddrohung erhalten!«
    »Und weiter?«
    »Meine gesamte Familie wird ausgelöscht, wenn ich mich mit Ihnen

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