Die vierte Hand
seine Spezialbrille trug - er hatte die Sonnenfinsternis nicht verpassen wollen. Die Gläser waren so dunkel, daß sie bis auf die teilverfinsterte Sonne alles verdunkelten. »Die Meldung haben wir schon gebracht«, antwortete Wallingford nur. »Na ja, wir denken an eine Fortsetzung. Etwas Ausführlicheres«, meinte Mary.
Welche »Fortsetzung« konnte so ein Wahnsinn haben? Wie »ausführlich« konnte so ein absurder Vorfall sein? Hatte der Mann Angehörige gehabt? Wenn ja, waren sie zweifellos schwer mitgenommen. Aber wieviel Interview gäbe der Zeuge her? Und wozu sollte das gut sein? »Was ist die andere Meldung?«
Auch von der anderen Geschichte hatte er schon gehört - eine der Nachrichtenagenturen hatte sie gemeldet. Ein einundfünfzigjähriger Deutscher, ein Jäger aus Bad Soundso, war im Schwarzwald erschossen neben seinem geparkten Wagen gefunden worden. Das Gewehr war zum Fenster hinaus gerichtet; im Auto befand sich der tobende Hund des toten Jägers. Die Polizei kam zu dem Schluß, daß der Hund ihn erschossen hatte. (Natürlich unabsichtlich - niemand machte dem Hund einen Vorwurf.)
Wollten sie, daß Wallingford den Hund interviewte?
Es war genau die Sorte von Nicht-Nachrichten, die als Witze im Internet enden würden - sie waren schon jetzt Witze. Sie waren außerdem das übliche Geschäft, die bizarr-alltäglichen Tiefpunkte der rund um die Uhr gesendeten internationalen Nachrichten. Sogar Mary Shanahan war es peinlich, daß sie sie aufs Tapet gebracht hatte.
»Ich habe an etwas über Deutschland gedacht, Mary«, sagte Patrick.
»Ich weiß doch«, sagte sie mitfühlend und faßte ihn an jene beliebte Stelle an seinem linken Unterarm.
»War sonst noch was, Mary?« fragte er.
»Da war noch eine Sache in Australien«, sagte sie zögernd. »Aber dorthinzugehen hat dich ja nie interessiert.«
Er kannte die Sache, die sie meinte; bestimmt bestand die Absicht, auch diesem sinnlosen Tod weiter nachzugehen. In diesem Falle hatte sich ein dreiunddreißigjähriger Computertechniker bei einem Trinkwettbewerb in einer Hotelbar in Sydney zu Tode getrunken. Der Wettbewerb trug den bedauernswerten Namen Wilder Freitag, und der Verstorbene hatte angeblich vier Whiskeys, siebzehn Tequilas und vierunddreißig Bier gekippt - dies alles in einer Stunde und vierzig Minuten. Er starb mit einem Promillegehalt von 4,2.
»Die Geschichte kenne ich«, sagte Wallingford nur.
Wieder berührte ihn Mary am Arm. »Tut mir leid, daß ich keine besseren Nachrichten für dich habe, Pat.«
Noch mehr deprimierte Wallingford, daß diese albernen Sachen nicht einmal neue Nachrichten waren. Sie waren unbedeutende Schnipsel zum Thema Lächerlichkeit der Welt; ihre Pointen waren bereits erzählt. Der internationale 24-Stunden-Kanal hatte ein Praktikantenprogramm - statt eines Gehalts versprach man Collegestudenten eine »authentische Erfahrung«. Brachten denn diese Praktikanten, auch ohne Gehalt, nicht mehr zustande, als diese Geschichten von dummen und komischen Todesfällen zu sammeln? Irgendwo im Süden war ein junger Soldat an Verletzungen gestorben, die er sich durch einen Sturz aus dem dritten Stock eines Hauses zugezogen hatte; er hatte sich zum fraglichen Zeitpunkt an einem Spuckwettbewerb beteiligt. (Eine wahre Geschichte.) Im Norden Englands war die Frau eines Farmers von Schafen angegriffen und von einem Kliff gestürzt worden. (Ebenfalls wahr.)
Der Nachrichtensender hatte lange Zeit einem Pennälerhumor gefrönt, der gleichbedeutend mit einer pennälerhaften Todesvorstellung ist. Auf einen kurzen Nenner gebracht: kein Kontext. Das Leben war ein Witz; der Tod der Schlußgag. Wallingford konnte sich eine Besprechung nach der anderen vorstellen, in der Wharton oder Sabina sagten: »Soll der Löwenmann das machen.«
Was die besseren Nachrichten anging, die Wallingford von Mary hören wollte, so waren es schlicht die, daß sie nicht schwanger war. Auf diese Nachricht oder auf ihr Gegenteil, soviel begriff Wallingford, würde er warten müssen.
Warten konnte er nicht besonders gut, was in diesem Falle einige positive Folgen hatte. Er beschloß, sich nach anderen Journalistenjobs umzutun. Die Leute sagten, der sogenannte Bildungssender (sie meinten PBS) sei langweilig, aber langweilig ist - besonders was Nachrichten anlangt - nicht unbedingt das Schlechteste.
Der PBS-Ableger für Green Bay befand sich in Madison, Wisconsin, wo auch die Universität war. Wallingford schrieb an Wisconsin Public Television und erklärte, was
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