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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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»Tatsächlich?«
    »Schönen Tag noch, Mary«, sagte Patrick zu ihr. Sollten sie mal versuchen, einen Einsatz zu finden, mit dem er einverstanden war! Wallingford hatte nicht nur die Absicht, sie dazu zu zwingen, ihn zu feuern; er rechnete auch fest damit, daß er einen neuen Job aufgetan hatte, der schon auf ihn wartete, wenn sie die Reißleine zogen. (Sich vorzustellen, daß ihm einmal die Fähigkeit abgegangen war, langfristig auf etwas hinzuarbeiten!)
    Der Vorschlag für den nächsten Einsatz ließ nicht lange auf sich warten. Man sah förmlich vor sich, wie sie dachten: wie kann der Löwenmann da widerstehen? Sie wollten, daß Wallingford nach Jerusalem ging. Wenn das kein Revier für den Katastrophenmann war! Journalisten lieben Jerusalem - an Bizarr-Alltäglichem ist dort kein Mangel. Es war zu einer doppelten Autobombenexplosion gekommen. Am Sonntag, dem 5. September, waren gegen 17 Uhr 30 israelischer Zeit in verschiedenen Städten zwei zeitlich aufeinander abgestimmte Autobomben explodiert und hatten die Terroristen getötet, die die Bomben zu den vorgesehenen Zielen transportierten. Die Bomben explodierten, weil die Terroristen sie auf Sommerzeit eingestellt hatten; drei Wochen zuvor hatte Israel vorzeitig auf Standardzeit umgestellt. Die Terroristen, die die Bomben wohl in einem palästinensisch kontrollierten Gebiet zusammengebaut hatten, wurden Opfer der palästinensischen Weigerung, die von ihnen so genannte »zionistische Zeit« zu akzeptieren. Die Fahrer der Autos, die die Bomben transportierten, hatten ihre Uhren, nicht aber die Bomben, auf israelische Zeit umgestellt.
    Bei dem Nachrichtensender fand man es komisch, daß Verrückte, die sich selbst so ernst nahmen, durch ihren eigenen dummen Fehler in die Luft geflogen waren, doch Wallingford teilte diese Meinung nicht. Die Verrückten mochten den Tod verdient haben, doch der Terrorismus in Israel war kein Witz; diesen blöden Unfall als Nachricht zu bezeichnen trivialisierte die Schwere der Spannungen in diesem Land. Durch andere Autobomben würden noch mehr Leute sterben, und das war nicht komisch. Und wieder fehlte der Kontext der Story - das heißt der Grund, warum die Israelis vorzeitig von Sommerzeit auf Standardzeit umgestellt hatten.
    Die Umstellung erfolgte, um der Zeit der Bußgebete Rechnung zu tragen. Die Slichot (wörtlich Verzeihungen) sind Gebete um Vergebung; die Reuegebet-Gedichte sind eine Fortsetzung der Psalmen. (Ihr Hauptthema sind die Leiden Israels in verschiedenen Ländern der Diaspora.) Diese Gebete sind in die Liturgie einbezogen worden, um bei besonderen Anlässen und an den Tagen vor Rosch-Haschana geprochen zu werden; sie verleihen den Gefühlen des Betenden Ausdruck, der bereut hat und nun um Gnade bittet.
    Während man in Israel die Zeit umgestellt hatte, um diesen Sühnegebeten Rechnung zu tragen, hatten die Feinde der Juden gleichwohl geplant, sie zu töten. Das war der Kontext, durch den die doppelte Autobombenexplosion über eine Komödie der Irrungen hinausging; es war überhaupt keine Komödie. In Jerusalem war das eine fast alltägliche Vignette, die ein ganzes Tableau von Bombenexplosionen sowohl ins Gedächtnis zurückrief als auch vorausahnen ließ. Doch für Mary und den Nachrichtensender war es eine Geschichte von Terroristen, die bekamen, was sie verdienten - nichts weiter.
    »Ihr wollt offenbar, daß ich das ablehne. Ist es das, Mary?« fragte Patrick. »Und wenn ich solche Sachen oft genug ablehne, könnt ihr mich ungestraft feuern.«
    »Wir finden, das ist eine interessante Story. Genau deine Kragenweite«, sagte Mary nur.
    Er brach rascher alle Brücken hinter sich ab, als sie neue bauen konnten; es war eine aufregende, aber entscheidungsarme Zeit. Wenn er nicht gerade aktiv mit dem Versuch beschäftigt war, seinen Job loszuwerden, las er den Englischen Patienten und träumte von Doris Clausen. Bestimmt wäre sie, genau wie er, entzückt von Almasys Frage an Madox, wie »die Kuhle unten am Hals einer Frau« heißt. Almasy fragt: »Was ist das, hat es einen speziellen Namen?« Worauf Madox murmelt: »Reißen Sie sich zusammen.« Später zeigt Madox mit dem Finger auf eine Stelle unterhalb seines Adamsapfels und sagt Almasy, man nenne das »Gefäßring«.
    Wallingford rief Mrs. Clausen in der tiefempfundenen Überzeugung an, daß ihr die Episode genausogut gefallen würde wie ihm, aber sie hatte da ihre Zweifel.
    »Im Film hieß das irgendwie anders«, sagte ihm Doris. »Ach ja?«
    Wie lange hatte er

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