Die vierte Schlinge: Thriller (German Edition)
man das bei Kriminaluntersuchungen brauchen kann.«
»Können Sie aus diesen Knoten wirklich etwas herauslesen?«
»Man bekommt einen ganz guten Eindruck von der Person, die sie geknüpft hat. Zum Beispiel ob sie darin geübt ist, was dann auf ihren Beruf oder ihr Hobby Rückschlüsse erlaubt.«
»Ich dachte immer, ein Knoten sei ein Knoten.«
»Ganz und gar nicht. Es gibt für jeden Zweck einen ganz bestimmten Knoten. Einige findet man ziemlich häufig, andere sind ganz selten.«
»Dieses Seil weist überhaupt keine Knoten auf. Werden Sie daraus trotzdem irgendwelche Erkenntnisse gewinnen können?«
»Das bezweifle ich, aber man weiß ja nie. Vielleicht finden sich darauf Blutspuren oder irgendwelche Fasern, die uns weitere Informationen liefern können. Wenn wir Glück haben, finden wir vielleicht sogar heraus, woher es stammt. Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Fund.«
Neva nickte. »Ich hatte schon Angst, es sei nur Abfall.«
»An einem Tatort gibt es überhaupt nichts, was ›nur Abfall‹ wäre.«
Nachdem Neva das Seil fotografiert hatte, fertigte sie eine maßstabsgerechte Zeichnung auf Millimeterpapier an.
Diane verließ den eigentlichen Tatort und ging in weitem Bogen auf David zu. Sie merkte, dass Neva ihr von Zeit zu Zeit nervöse Blicke zuwarf. Neva war mit Janice Warrick befreundet. Warricks katastrophale Fehler bei der Untersuchung des Tatorts im Mordfall Boone hatten dazu geführt, dass sie auf eine unwichtige Stelle versetzt worden war – und fast jeder Polizist in Rosewood war der Meinung, dass Diane an Warricks Degradierung schuld sei.
»Wie geht es voran?«, fragte sie David.
»Wir können sie jetzt herunterholen.«
Er stand auf der bereits gesäuberten Fläche unter den Körpern. Er machte ein Gesicht, als ob er selbst bald gehängt werden sollte. Diane verstand ihn gut. Auch sie hasste diesen Teil: ehemals lebendige Wesen in Leichensäcke zu verstauen.
5
E rst ein einziges Mal hatte Diane in einem heißen Autopsieraum arbeiten müssen, und das war im südamerikanischen Dschungel gewesen. Aber mittlerweile herrschte auch in Dr. Lynn Webbers Labor im regionalen Krankenhauszentrum eine fast unerträgliche Hitze. Der Geruch des Todes hatte sich schwer über den gesamten Raum gelegt. Die Metalltische, weißen Glastürschränke, Gerätschaften und Instrumente, die in der gewöhnlichen Eiseskälte des Autopsieraums am richtigen Ort schienen, wirkten nun irgendwie schrecklich und fehl am Platz.
Diane hätte am liebsten diesen Raum mit seinem überwältigenden Gestank so schnell wie möglich verlassen. Aber sie blieb.
Durch ein Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Hauptlabors konnte sie in den Isolationsraum sehen, der für die Autopsie von bereits weitgehend verwesten und infektiösen Leichen bestimmt war. Dort stand der Laborassistent an einem der Metalltische, auf dem bereits einer der Erhängten lag. Dessen langgestreckten Hals hatte man so gekrümmt, dass sich nun der Kopf direkt neben der Schulter befand.
Lynn telefonierte in ihrem Büro. Da die Tür offen stand, war ihre erregte Stimme im gesamten Autopsieraum zu hören.
»Ich habe Sie bereits vor zwei Tagen gebeten, die Klimaanlage zu reparieren.« Pause. »Es interessiert mich überhaupt nicht, ob es die Lüftungsklappen sind und nicht das Aggregat selbst. Die Temperatur ist viel zu hoch hier drinnen. Mir verrotten hier auf den Tischen die Leichen.« Lynn trommelte mit dem Bleistift auf einem Block Papier, während sie zuhörte. »Das ist mir ganz egal, ob Sie sich gleich beide Knöchel verstaucht haben. Ein Mann in Ihrem Alter sollte nicht mehr mit Rollerblades herumfahren. Ich darf Sie daran erinnern, dass ich mich mit Tötungen auskenne und keine Spuren hinterlasse, die man bei einer Obduktion auffinden könnte. Also, jetzt lösen Sie dieses Problem, und zwar sofort und nicht erst morgen.«
Sie warf den Hörer auf die Gabel und kam ins Labor. »Ich hasse es, mit Wartungstechnikern reden zu müssen. Es ist, als ob man mit einem Erpresser spricht. Sie wissen ganz genau, dass sie einen völlig in der Hand haben.«
Sie deutete auf die Schutzkleidung, die auf einer Arbeitsfläche des Hauptlabors lag. Beide Frauen zogen sich Laborkittel, Gesichtsmasken und Handschuhe an und betraten dann das Isolationslabor. Inmitten des Raums standen als hell glänzende Metallrechtecke die beiden Obduktionstische. Zwischen den beiden Tischen hingen Waagen zum Abwiegen der Organe. Auf der anderen Seite des Raumes stand eine ganze
Weitere Kostenlose Bücher