Die vierte Todsuende
brüsten.
»Wir haben nichts, wo man seinen Hut dranhängen könnte. Nur ganz allgemeines Zeug. Ich erzähle dir heute Abend davon.«
Damit ging er ab ins Arbeitszimmer und schrieb das Protokoll des Gespräches mit dem Doktor nieder. Er gab sich große Mühe, den Wortlaut möglichst exakt wiederzugeben.
Irgendwas an den Äußerungen des Arztes ließ ihm keine Ruhe, nur konnte er um die Welt nicht sagen, was. Auch mehrmaliges Durchlesen dessen, was er da niedergeschrieben hatte, half nicht. Und doch blieb er überzeugt davon, es müsse da etwas geben.
Diese nebulösen Ahnungen waren überhaupt bezeichnend für die Ermittlungen in diesem Fall. Bislang gab es nichts als subtile Färbungen, undeutliche Umrisse. Das Ganze war wie ein zerlaufenes Aquarell. Dagegen waren die meisten Mordfälle wie Ölgemälde — große Farbflächen, aufgetragen mit dem Pinsel oder auch dem Messer. Morde waren im allgemeine brutale, eindeutige Angelegenheiten. Resultat auf die Spitze getriebener Leidenschaften oder Gier. Diese Mordaffäre aber roch nach der Bibliothek, nach Literatur, bürgerlichem Salon, die Handlung war wie von Henry James erfunden.
Dass ihm das so vorkam, mochte allerdings auch daran liegen, dass der Tatort ein so elegantes kleines Stadthaus war und nicht eine vergammelte Mietskaserne, das gestand Delaney sich ein. Oder auch, weil die Beteiligten zum gebildeten Bürgertum gehörten, klug genug, sich überzeugende Lügen auszudenken, falls es ihren Zwecken diente.
Immerhin, Mord blieb Mord, und in einem delikaten, von Höflichkeit geprägten Milieu bedurfte es vielleicht gerade eines dickköpfigen alten Elefanten im Porzellanladen, um alle Schnörkel plattzuwalzen und einen listenreichen, gescheiten und raffinierten Mörder zu überführen.
9
Beim Frühstück sagte Monica: »Wir müssen daran denken, dass demnächst Thanksgiving ist. Ehe du dich versiehst, ist es da… Sollten wir nicht einen Truthahn…?«
»Na, ich weiß nicht recht.«
»Dann eine Gans?«
»Hm… Gänsebraten«, sagte er träumerisch, »mit unpoliertem Reis vielleicht und einer Apfelfüllung? Das klingt nicht übel. Übernimmst du die Gans, lege ich die Äpfel in Brandy ein.«
»Abgemacht.«
»Kommen die Mädchen?« fragte er.
»Nein. Sie fahren mit einer Freundin zu der nach Hause. Aber Weihnachten sind sie da.«
»Wie wäre es, wenn du Abner und Rebecca Boone zum Essen einladen würdest. Mit der Gans werden du und ich allein nicht fertig.«
»Das könnte ganz nett werden. Und sie hätten bestimmt Lust. Was würdest du davon halten, wenn auch Jason mit seiner Frau käme?«
»Der verdrückt ganz alleine eine Gans. Aber ich werde ihn wohl einladen müssen, wenn Boone kommt. Vermutlich sagt er aber nicht zu, denn bestimmt wird er daheim essen wollen, mit den Kindern. Ich rufe ihn aber mal an und sage dir dann Bescheid.«
»Und was hast du heute vor, Edward?«
»Ich warte erst mal, bis Boone anruft. Dann haben wir eine Verabredung mit der Ellerbee. Du gehst wohl aus?«
»Immer noch Einkäufe. Die will ich endlich erledigen, damit ich auch was von Weihnachten habe.«
»Amüsier dich. Die Rechnungen kommen zum Glück ja erst später.«
Im Arbeitszimmer widmete er sich der Zeitung und seiner Zigarre und war mit beidem etwa zur Hälfte fertig, als das Telefon klingelte.
Er erwartete Boone am anderen Ende der Leitung, doch meldete sich statt dessen Parnell.
»Sieh an«, sagte Delaney, »Parnell, wie geht es Ihnen denn?«
»Glänzend, Sir. Und Ihnen?«
»Na, soso, lala. Sie haben es wahrscheinlich schon vergessen, wir sind uns aber einmal begegnet. Auf der Abschiedsparty für Sergeant Schlossman.«
»Und ob ich mich erinnere, Sir! Da habe ich mich doch versehentlich so furchtbar besoffen, dass ich Captain Rogers die neue Uniform vollgekotzt habe. Seitdem bin ich nicht mehr befördert worden. Aber was ich fragen wollte … Boone sagt, Sie wollen den Finanzbericht über Ellerbee und Samuelson so rasch als möglich haben, stimmt das?«
»Sagen Sie bloß, Sie haben das schon erledigt?«
»Na, gut bin ich vielleicht nicht, aber schnell allemal. Es ist weiter nichts als pro Kopf eine Schreibmaschinenseite. Nicht das, was Sie von einer Auskunftei bekommen würden, aber alles, was Sie brauchen. Ich könnte eben vorbeikommen, und wir gehen die Aufstellungen kurz mal durch. Falls Ihnen dann noch was unklar ist, könnte ich es Ihnen erläutern.«
»Ausgezeichnet. Ich erwarte Sie. Sie kennen meine Adresse?«
»Klar. In einer halben Stunde bin
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