Die vierte Todsuende
Miss Otherton«, sagte Boone. »Möglich, dass wir Ihnen noch weitere Fragen stellen müssen. Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht belästigt.«
»Durchaus nicht«, sagte sie verloren, »viel Besuch bekomme ich nicht.«
»Ich lasse Ihnen meine Telefonnummer da, damit Sie anrufen können, falls Ihnen noch etwas einfällt.«
Im Fahrstuhl sagte Delaney: »Ulkig, sie beschreibt ihn als ausgesprochen warm und herzlich. Wenn ich an sein Sprechzimmer denke, kann ich mir das nicht vorstellen.«
»Und ich möchte wissen, was ihn neuerdings besorgt gemacht hat. Falls es stimmt, was sie sagt.«
»Die Frage lautet doch«, dachte Delaney laut nach, ohne auf Boone zu achten, »hat sie ihn so sehr gehasst, als er sie zwang, sich die Vergewaltigung in Erinnerung zu rufen. Es könnte schließlich sein, dass er da noch was ausgegraben hat, was ihr den letzten Schub versetzte.«
»Ja, halten Sie die Dame denn für kräftig genug, solch eine Tat auszuführen, Sir?«
»Wenn der Adrenalinspiegel hoch genug ist, kann das sogar ein Fliegengewicht, und sie ist doch ziemlich massiv.«
»Deshalb fahre ich jetzt nach Hause und rasiere mir die Bartstoppeln ab. Ich möchte, nämlich kein Risiko eingehen.«
12
Samstag früh warnte Delaney seine Frau: »Das Wochenende wird etwas chaotisch werden. Ich will mir die anderen vier Patienten vornehmen, ehe die neue Mannschaft am Montag ihren Dienst antritt. Und heute Nachmittag kommt Jason; er hat eben angerufen.«
»Vergiss nicht, Boone und Jason zu Thanksgiving einzuladen.«
»Ich werde dran denken«, versprach er.
An seinem Schreibtisch entwarf er einen Fahrplan, nach dem er vorgehen wollte, falls es sich machen ließ: Bellsey und Symington noch am Samstag, Joan Yessel und Gerber am Sonntag.
Vorsorglich schrieb er auch noch ihre Adressen auf seinen Zettel.
Dann wollte er sich noch mit Boone und Jason treffen, um zu hören, was Jason etwa ans Licht gefördert hatte. Es war ja auch möglich, dass er weder Bellsey noch Symington daheim antraf. Ging hingegen alles wie geplant, würde er den Sonntagabend dazu verwenden können, seine Unterlagen zu komplettieren, an Hand derer er Montag früh die neuen Leute einweisen wollte.
Als Boone eintraf, war der Plan also schon fertig, nur das Wetter konnte Delaney nicht mit seinem Vorhaben abstimmen. Es war scheußlich; die Wolken hingen tief, Regenböen fegten durch die Straße, und der Wind war feuchtkalt und schneidend. Er kam aus Nordwest.
Bellsey wohnte in der 28. Straße. Sie fuhren die 2. Avenue in südlicher Richtung hinunter. Der Scheibenwischer funktionierte nicht richtig, und die eher antike Heizung kam gegen die Kälte nicht auf.
»Ich hoffe immer, jemand klaut mir den Schlitten«, klagte Boone, »aber der ist wohl nicht mal mehr für einen Ausschlachter interessant. Eines Tages gewinne ich vielleicht im Lotto und kann mir einen anständigen Wagen kaufen. Übrigens habe ich mit dem Kollegen gesprochen, der das Alibi von Bellsey überprüft hat. Der behauptet, am Freitagabend zu Hause gewesen zu sein, und seine Frau bestätigt es. Viel wert ist das nicht.«
»Nein. Hat er festgestellt, womit Bellsey sein Geld verdient?«
»Ja. Er ist Geschäftsführer bei einem Fleischgroßhändler auf der 18. Straße. Offenbar ein hochkarätiger Laden, verkauft bloß an Luxusrestaurants und Hotels.«
»Da fällt mir ein, Monica lässt fragen, ob Sie nicht mit Ihrer Frau an Thanksgiving zum Gänseessen kommen wollen?«
»Ich hätte große Lust, Sir, aber da muss ich erst Rebecca fragen. Vielleicht hat die schon andere Pläne.«
»Sie soll einfach Monica anrufen, sollen sich doch die Frauen einigen«, schlug Delaney vor.
Ronald J. Bellsey wohnte in einem neuen Appartementhochhaus Ecke 3. Avenue. Sie fanden in der 29. Straße einen Parkplatz und kämpften sich, die Hüte festhaltend, gegen Wind und Regen an ihr Ziel, nur um vom Portier hören zu müssen, dass Bellsey und Gattin ausgegangen seien, vor knapp einer Viertelstunde.
»Scheiße«, schimpfte der Sergeant auf dem Rückweg, »aber man darf wohl nicht erwarten, dass man jedes Mal Glück hat.«
»Heute Nachmittag probieren wir's noch mal. Kein Mensch bleibt bei diesem Wetter den ganzen Tag in der Stadt. Vielleicht haben wir bei Symington mehr Glück. Der wohnt in Murray Hill, in der 31. Straße, östlich der Park Avenue. Haben Sie über den auch schon etwas erfahren?«
»Junggeselle. Angestellt bei einem Anlageberater in der Wall Street. Behauptet, zur Tatzeit im Hilton gewesen zu sein, da war
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