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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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Zurückhaltung immer nur als Arroganz ausgelegt, und außer Sophie hatte sich niemand die Mühe gemacht, hinter die Fassade zu sehen, um das verletzliche und sensible Wesen zu entdecken, das nur nicht mutig genug war, um aufzubegehren.
    Sophie. Wie gerne würde sie dem Kind das Folgende ersparen.
    Gerlin hob den Kopf und beobachtete das Spiel des Sonnenlichts, das durch die bleiverglasten Fenster fiel und das Richterpult umtanzte.
    Der
Kardinal
würde ihr zuhören. Er musste es tun.

    Doktor Hieronymus Hauser ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Dabei reckte er seinen Kopf, was ihn größer aussehen ließ, als er eigentlich war. Der
Kardinal
wurde seinem Namen gerecht.
    »Es geht hier um die Bezeugung der Behauptung«, setzte er schnarrend an, »die Angeklagte sei von ihrem inzwischen verstorbenen Ehegatten zur Unterstützung seiner zweifelhaften Geschäfte gezwungen worden. Die Magd Stingin Bruwiler konnte die Behauptung der Verteidigung unterstreichen, indem sie von der Gewalt im Hause Imhoff berichtete. Könnt Ihr ebenfalls bestätigen, dass es so war?«
    Gerlin setzte zu einer Antwort an, und als ihre Stimme versagte, räusperte sie sich heftig, bevor sie begann: »Ich kann bezeugen, dass Andreas Imhoff zuweilen unter unkontrollierten Wutausbrüchen litt.«
    »Wart Ihr jemals selbst Zeugin eines Übergriffes?«
    Gerlin drehte sich zu Agnes um. Diese saß aufrecht, mit gefasster Miene, die Hände im Schoß gefaltet. Daneben ihr Advokat Mathis von Homburg, der gerade seine Augengläser absetzte und den Blick teilnahmslos durch den Raum schweifen ließ.
    »Nein, Hoher Rat«, erwiderte Gerlin und hob sofort gegen das aufbrausende Murmeln an: »Aber ich bezweifele nicht, dass Andreas Imhoff Gewalt anwendete. Man hat mir oft davon erzählt, und an manchen Tagen waren Gesicht und Körper meiner Cousine von Blutergüssen überzogen.«
    Doktor Hieronymus Hauser nickte. Die Feder des Schreibers, der ihm zur Seite saß, kratzte hörbar über das Papier.
    »Ihr wart häufig im Hause Imhoff zu Gast?«, fuhr der Richter mit der Befragung fort.
    »Ja, das war ich.«
    »Erzählt mir davon.«
    »Ich kam zumeist gegen Nachmittag, nachdem ich für meinen Mann Hannes die Bücher geführt und die Hausarbeit verrichtet hatte. Wir Frauen verbrachten die Zeit mit Gesellschaftsspielen oder Handarbeiten, und Sophie übte gerne auf der Laute. Manchmal kamen Schneider, um an Agnes Maß zu nehmen oder die fertigen Kleider zu liefern. Ab und an bezahlte sie Vorleser, uns mit Geschichten zu unterhalten.«
    »War Andreas Imhoff auch regelmäßig anzutreffen?«
    »Nein, das war eher die Ausnahme. Er war häufig auf Reisen oder im Kontor. Manchmal brachte er Geschäftsfreunde mit.«
    »Auch Richard Charman?« Diese Frage kam beiläufig. Doch Gerlin entging nicht, wie der Richter sich dabei leicht nach vorne beugte.
    »Nun, er war bei seinen Aufenthalten in Köln häufig Gast der großen Feste, die Agnes Imhoff ausrichtete.«
    Hauser schaute sie durchdringend an. »Wart ihr bei dem letzten Treffen, von dem die Magd Stingin Bruwiler berichtet hat, ebenfalls zugegen?«
    »Ja. Kaum hatte er seinen Fuß über die Schwelle gesetzt, packte er Andreas bereits am Kragen und bezichtigte ihn lautstark brüllend des Betrugs. Der Engländer hatte ein Stück des Stoffes dabei, den Andreas als angeblich verdorben zurückgeschickt hatte, und gesagt, jeder Blinde könne sehen, dass das nicht sein flandrisches Tuch sei, sondern billiges Zeug. Aber Andreas hat jeden Vorwurf von sich gewiesen und ihn rausgeworfen.«
    »Und Richard Charman?«
    »Er hat mit Klage gedroht und Konsequenzen angekündigt. ›Das werde ich vor Gericht vorlegen‹, hatte er gebrüllt und den Stoff in die Höhe gehalten.«
    Hauser runzelte die Stirn und blätterte in den vor ihm liegenden Papieren. »Richard Charman hat am 29. Juli ein Zimmer im
Schwarzen Hahn
bezogen«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Gerlin, dann sah er auf und fuhr lauter fort: »Er kam, um sein Geld einzufordern. Das Klageersuchen ging jedoch erst zwei Monate später ein, kurz nach dem Streit im Dom. Der Kläger hat Agnes Imhoff, laut Aussage der Magd Stingin Bruwiler, als Hure beschimpft. Habt Ihr dafür eine Erklärung?«
    Im Saal war es totenstill. Kein Hüsteln, kein Fußscharren. Gerlin spürte, wie ihr die Hitze Dekolleté und Hals hinaufstieg.
    Thor, hilf. Der Richter stellte
die
Frage!
    Sie drehte sich wieder zu Agnes. Diese schüttelte ganz langsam den Kopf. Ihre Lippen bildeten zwei lautlose Worte:

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