Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
Gegenlicht leuchtete das Haar des Flötenspielers wie flüssiges Gold.
»Hör zu, Gabriel.« Hauser legte seine Hand auf die Schulter des Jungen. »Jetzt passt es nicht. Ich sitze heute den ganzen Tag zu Gericht. Aber am Abend würde mir ein wenig Ablenkung gefallen. Vielleicht kannst du später für mich spielen?«
Der Junge sah ihn an. »Ihr findet mich im Wirtshaus an der Ulrepforte«, antwortete er mit einem langen Blick auf den Richter. »Ich spiele jeden Abend dort.«
Hauser kannte die Schenke im Westen der Stadt, sie wurde zumeist von durchreisenden Händlern besucht. Er nickte schnell, dann wandte er sich entschlossen ab.
Als er das Gericht an der Pforte des südlichen Domhofs betrat, erklang Gabriels Spiel in seinem Rücken. Wild und frei, einem Schwarm Graugänse gleich, zogen die Töne über den Domplatz in den Novemberhimmel und mit den Wolken davon.
Die Musik verfolgte ihn die Stufen hinauf bis in den Gerichtssaal, dann war es plötzlich still. Hauser sah, dass die Gerichtsdiener schon ein Feuer im Kamin entzündet hatten. Bald würde sich eine stickige Wärme ausbreiten und gegen die Eiseskälte im Saal ankämpfen. Doch vorerst qualmte es mächtig, das Holz war feucht und roch nach Pferdeäpfeln.
Die Schöffen waren für die neunte Stunde bestellt. Hustend verzog Hauser sich durch eine Nebentür in das Richterzimmer, um einen letzten Blick in die Prozessakten zu werfen. Der Richter war bekannt dafür, Anwälte und Saalpublikum mit seiner Kenntnis der Details zu verblüffen. Und im Fall Charman gegen Imhoff hatten sich unzählige Dokumente angesammelt. Wie Perlen an einer Schnur reihten sich die Fakten und Zeugenaussagen in seinen Unterlagen aneinander.
Gab es wirklich noch einen Zweifel? Hauser arbeitete sich erneut durch die Schriftstücke, und wieder dachte er, dass dieser Fall eigentlich Routine war. Betrug, so lautete die Anklage. Die Tuchhändlerwitwe wurde auf Herausgabe ihres gesamten Vermögens verklagt, um die Schulden ihres verstorbenen Mannes zu begleichen. Doch das geltende Recht sah vor, dass eine Ehefrau eben nicht für die Verfehlungen ihres Mannes haftbar zu machen war. Ein Rechtsgutachten, das Hauser in seinen Akten hatte, bekräftigte diesen alten Grundsatz. Augustin von Küffen, der junge Assistent des Imhoff’schen Anwalts, hatte es unglücklicherweise in die Verhandlung eingebracht. Und dieser Ketzer Mathis von Homburg hatte es nicht zu verhindern gewusst.
Das geltende Recht …
Hauser zog das Gutachten hervor, brummend las er es noch einmal. Was galt denn noch in dieser Zeit, in der ein einfacher Mönch aus Wittenberg das christliche Abendland an den Rand des Höllenschlunds führte? Und in der sich die Protestanten selbst im Schatten des Doms und in abgelegenen Gewölben versammeln konnten. Man musste etwas tun!
Er
musste etwas tun …
Der Richter zog die Stirn kraus, dann fischte er den Brief aus seiner Manteltasche. Gabriel hatte ganz richtig erkannt, es war ein Schreiben des Kaisers, versehen mit dessen Zeichen und dem blutroten Siegel. Als der kaiserliche Bote ihm das Schreiben vor Prozessbeginn in seinem Haus überreicht hatte, hatte Hauser zunächst nicht glauben können, was er da las. Kaiser Karl V. hatte dem Gericht nahegelegt, den Fall Imhoff gegen das geltende Recht zu entscheiden.
Der Brief enthielt zwar keine konkreten Anweisungen, doch wer zwischen den Zeilen lesen, wer die tatsächliche Bedeutung des geschriebenen Wortes erspüren konnte, der verstand, was zu tun war: ein Urteil gegen Agnes Imhoff zu sprechen und rasch zu vollstrecken.
Zunächst hatte Hauser erfreut gedacht, dass die Zeit für betrügerische Ehepaare endlich abgelaufen war. Schon lange war ihm dieser alte Usus falsch erschienen. Und dann hatte er weiter und immer weiter gedacht, hatte die Gedanken fließen lassen, bis diese sich den Rhein hinab und immer weiter bis an die Grenzen des Kaiserreichs bewegt hatten.
Warum nur, hatte er sich gefragt, warum mischten die höchsten Mächte sich in diesen Prozess ein? Warum blickte der Kaiser nach Köln, einer wichtigen Stadt zwar, aber von keiner großen gerichtsmäßigen Bedeutsamkeit? Und auf ein Verfahren, das zwar in der Stadt Wellen schlug, aber im Gefüge der europäischen Landschaften doch vergleichsweise belanglos war.
Und plötzlich, wie ein Blitz, war die Erkenntnis auf ihn herabgefahren und hatte sich in seinen Gedanken festgesetzt.
Es war eine Grundsatzfrage, eine prinzipielle Frage des römischen Rechts!
Der Richter hatte es
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