Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
eine Flasche Rotwein und schenkte sich ein Glas ein. Es war ein guter Wein, leicht und ausdrucksvoll, mit einem feinen, bittersüßen Abgang, der ihr zusagte. Erst als sie sich nachschenkte, kam ihr der Gedanke, dass sie womöglich einen von Davids teuren Bordeaux geöffnet hatte. Sie sah auf dem Etikett nach – Château Margaux 1996. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Flasche. Es sagte ihr nichts.
Weil sie zu müde und zu schläfrig war, um weiterzulesen, beschloss sie, ihre E-Mails abzurufen. Und fand, versteckt zwischen Junkmails und einer Nachricht von Michelle, die sich nach dem Fortgang der Arbeit am Manuskript erkundigte, eine E-Mail von Aziz Z. Zahara.
Liebe Ella (falls Sie gestatten),
Ihre E-Mail erreichte mich in einem guatemaltekischen Dorf namens Momostenango. Das ist einer der wenigen Orte, in denen noch der Maya-Kalender benutzt wird. Unmittelbar gegenüber dem Hostel steht ein Wunschbaum, der mit Hunderten von Stoffstücken in allen nur denkbaren Farben und Mustern geschmückt ist. Die Dorfbewohner nennen ihn »Baum der Untröstlichen«. Wer ein gebrochenes Herz hat, schreibt seinen Namen auf einen Zettel, befestigt ihn an einem Zweig und betet, es möge gesunden.
Ich hoffe, Sie finden es nicht anmaßend, aber nachdem ich Ihre Mail gelesen hatte, ging ich zu diesem Wunschbaum und betete, dass Sie und Ihre Tochter das Missverständnis klären können. Man sollte noch das kleinste Fünkchen Liebe zu würdigen wissen, denn die Liebe, sagt Rumi, ist das Wasser des Lebens.
Mir hat es in der Vergangenheit geholfen, mich nicht mehr auf Konflikte mit den Menschen um mich herum einzulassen, denn am Ende blieb ich immer frustriert zurück, da ich sie nicht ändern konnte. Darf ich vorschlagen, dass Sie sich, anstatt sich aufzudrängen oder passiv zu sein, schlicht fügen?
Manche Menschen begehen den Fehler, »Fügsamkeit« mit »Schwäche« zu verwechseln. Dabei ist sie alles, nur das nicht. Fügsam sein heißt, die Bestimmungen des Universums friedfertig hinzunehmen, und dazu zählen auch die Dinge, die wir im Augenblick nicht ändern oder nicht verstehen können.
Dem Maya-Kalender zufolge ist heute ein glückverheißender Tag. Es steht eine große astrologische Veränderung bevor, die zu einem neuen menschlichen Bewusstsein führt. Ich muss diese Mail jetzt schnell abschicken, bevor die Sonne untergeht und der Tag vorüber ist.
Möge die Liebe Sie finden, wenn Sie es am wenigsten und wo Sie es am wenigsten erwarten.
Mit freundlichen Grüßen
Aziz
Ella klappte den Laptop zu. Es rührte sie, dass ein völlig Fremder in einem abgelegenen Winkel der Erde für ihr Wohlergehen gebetet hatte. Sie schloss die Augen und stellte sich ihren Namen auf einem Stück Papier vor, das an einem Wunschbaum hing und frei und lustig wie ein Drachen in der Luft flatterte.
Sie öffnete die Küchentür, trat in den Garten hinaus und genoss die verwirrende Kühle des Winds. Spirit stand unruhig knurrend neben ihr und schnüffelte vor sich hin. Seine Augen waren schmal, dann wieder groß und angsterfüllt, und er spitzte die Ohren, als hätte er in der Ferne etwas Unheimliches bemerkt. Ella und ihr Hund standen nebeneinander unter dem Spätfrühlingsmond und schauten in die undurchdringliche, riesige Dunkelheit hinein – beide voller Furcht vor den Dingen, die dort umgehen mochten, voller Furcht vor dem Unbekannten.
DER NOVIZE
BAGDAD, APRIL 1242
B eflissen katzbuckelnd brachte ich den Richter zur Tür und kehrte dann rasch in den Hauptraum zurück, um das schmutzige Geschirr einzusammeln. Zu meiner Überraschung saßen Baba Zaman und der Wanderderwisch noch immer genau so da wie zuvor, und keiner sprach ein Wort. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln und fragte mich, ob man sich miteinander unterhalten konnte, ohne zu reden. Ich blieb so lange wie möglich da, setzte die Kissen auf, machte Ordnung, klaubte Brösel vom Boden, aber irgendwann gab es keinen Grund mehr zu bleiben.
Halbherzig schlurfte ich in die Küche zurück. Kaum sah er mich, schon überschüttete mich der Koch mit Befehlen. »Putz die Arbeitstheke und wisch den Boden! Spül das Geschirr! Mach den Ofen und die Wände rings um den Bratrost sauber! Und wenn du damit fertig bist, überprüfst du die Mausefallen!« Seit ich ungefähr ein halbes Jahr zuvor hierherkommen war, schikanierte mich dieser Mann pausenlos. Jeden Tag ließ er mich schuften wie ein Pferd und bezeichnete die Quälerei als Teil meiner spirituellen Ausbildung – als ob das Abspülen
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