Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Besenhieb.
»Komm her, oder ich breche dir alle Knochen im Leib!«, brüllte mir der Koch keuchend hinterher.
Aber ich dachte gar nicht daran, sondern flitzte wie ein Pfeil aus dem Garten hinaus. Das Gesicht von Schams-e Tabrizi vor Augen rannte ich auf dem gewundenen Pfad dahin, der das Ordenshaus mit der Hauptstraße verband, und auch als ich schon sehr weit gelaufen war, vermochte ich nicht stehen zu bleiben. Mit hämmerndem Herzen und trockener Kehle lief ich, bis meine Knie nachgaben und ich schließlich nicht mehr weiterkonnte.
ELLA
NORTHAMPTON, 21. MAI 2008
B eherzt dem Streit entgegenblickend, der ohne Frage ins Haus stand, kam David früh am nächsten Morgen nach Hause, wo er Ella schlafend im Bett vorfand. Süße Blasphemie lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß, neben ihr stand ein leeres Weinglas. Er machte einen Schritt auf sie zu, um ihre Decke ein wenig hochzuziehen, damit sie es schön warm hatte, überlegte es sich dann aber wieder anders.
Zehn Minuten später wachte Ella auf. Es überraschte sie nicht, ihren Mann im Bad rumoren zu hören. Er brachte es zwar fertig, mit anderen Frauen zu flirten und offensichtlich sogar die Nacht mit ihnen zu verbringen, duschen aber wollte er morgens in seinem eigenen Bad und nirgendwo sonst. Als er nach dem Duschen ins Schlafzimmer kam, tat Ella, als würde sie schlafen, wodurch es ihm erspart blieb, sein Fernbleiben zu erklären.
Keine sechzig Minuten später hatten ihr Mann und die Kinder das Haus verlassen, und Ella saß allein in der Küche. Das Leben ging offenbar wieder seinen normalen Gang. Sie griff zu ihrem Lieblingskochbuch, Kochkunst – einfach gemacht , ging mehrere Alternativen durch und entschied sich dann für ein recht anspruchsvolles Menü, das sie den ganzen Nachmittag beschäftigt halten würde:
Muschelsuppe mit Safran, Kokosnuss und Orangen
Überbackene Fünf-Käse-Nudeln mit Pilzen und frischen Kräutern
Mit Rosmarin gespickte Spareribs vom Kalb an Essig-Knoblauch-Sauce
Salat von Blumenkohl und grünen Bohnen mit Limonen-vinaigrette
Dann wurde über das Dessert entschieden: warmes Schokoladensoufflé.
Ella kochte aus mehreren Gründen gern. Aus einfachen Zutaten köstliche Speisen herzustellen war nicht nur eine befriedigende, eine erfüllende Tätigkeit, sondern hatte auch etwas seltsam Sinnliches. Darüber hinaus liebte sie das Kochen, weil es etwas war, was sie wirklich gut konnte. Und es ließ sie zur Ruhe kommen. Die Küche war der einzige Ort in ihrem Leben, an dem sich die Außenwelt komplett ausschließen ließ und sie die Zeit innerlich anhalten konnte. Vermutlich, dachte Ella, hatte Sex auf manche Menschen genau dieselbe Wirkung, aber dazu gehörten immer zwei, während man fürs Kochen nur Zeit, Sorgfalt und eine Tüte voller Lebensmittel brauchte.
Die Leute in den Kochsendungen taten immer so, als ginge es beim Kochen um Inspiration, Originalität und Kreativität, und ihr Lieblingswort war »experimentieren«. Ella sah das völlig anders. Experimente sollte man den Forschern und Schrulligkeit den Künstlern überlassen! Beim Kochen ging es darum, die Grundlagen zu erlernen, sich an die Angaben aus den Rezepten zu halten und jahrhundertealten Erkenntnissen Respekt zu zollen. Althergebrachte Traditionen galt es zu pflegen, anstatt herumzuprobieren. Die Kunst des Kochens erlernte man mithilfe von Bräuchen und Gepflogenheiten, die in den modernen Zeiten natürlich niemand zu schätzen wusste, aber in der Küche war eine traditionelle Einstellung nicht fehl am Platz.
So schätzte Ella auch die immer gleichen täglichen Abläufe. Jeden Morgen in etwa um dieselbe Zeit frühstückte die ganze Familie; jedes Wochenende fuhren sie in dieselbe Einkaufsmall. Und an jedem ersten Sonntag im Monat luden sie ihre Nachbarn zum Abendessen ein. Weil David ein Workaholic war und wenig Zeit hatte, musste Ella sich um alles im Haus allein kümmern. Es war ihre Aufgabe, das Geld einzuteilen, das Haus in Schuss zu halten, die Möbel aufpolstern zu lassen, die Einkäufe zu erledigen, die Termine der Kinder im Blick zu behalten, ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen und so weiter. Donnerstags ging sie in den Fusion Cooking Club, wo die verschiedensten Landesküchen zusammengebracht und Rezepte von anno dazumal mit neuen Gewürzen und Zutaten aufgepeppt wurden. Jeden Freitag verbrachte sie Stunden auf dem Wochenmarkt, unterhielt sich mit den Bauern über deren Produkte, besah sich ein Glas zuckerarme Bio-Pfirsichmarmelade oder erklärte einer
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