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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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von fettigem Geschirr irgendetwas mit Geist zu tun hätte.
    Er redete nicht viel; sein Lieblingsspruch war: »Putzen ist Beten, und Beten ist Putzen!«
    Einmal traute ich mich zu sagen: »Wenn es so wäre, müssten alle Haufrauen in Bagdad spirituelle Meister sein.«
    Da warf er mir einen Holzlöffel an den Kopf und brüllte aus vollem Hals: »Deine Unverschämtheiten bringen dir gar nichts, mein Sohn. Wenn du ein Derwisch werden willst, musst du so stumm wie dieser Holzlöffel sein. Novizen dürfen nicht aufbegehren. Rede gefälligst weniger und werde schneller erwachsen!«
    Ich hasste den Koch, ja mehr noch, ich hatte Angst vor ihm. Seine Befehle missachtete ich nie. Das heißt – bis zu diesem Abend.
    Sobald mir der Koch den Rücken zugekehrt hatte, schlich ich mich aus der Küche und ging auf Zehenspitzen in den Hauptraum zurück. Ich wollte unbedingt mehr über den Wanderderwisch erfahren. Wer war er? Was machte er hier bei uns? Er war nicht wie die anderen Derwische in der Bruderschaft. Selbst wenn er bescheiden den Kopf senkte, war sein Blick wild und leidenschaftlich. Er hatte etwas so Außergewöhnliches, Unberechenbares an sich, dass es fast schon zum Fürchten war.
    Ich spähte durch einen Riss in der Tür. Zuerst sah ich gar nichts. Aber dann gewöhnten sich meine Augen an das Halbdunkel, das im Zimmer herrschte, und ich erkannte die Gesichter der beiden.
    Der Meister fragte: »Sag mir, Schams-e Tabrizi, was führt einen Mann wie dich nach Bagdad? Ist dir die Stadt im Traum erschienen?«
    Der Derwisch schüttelte den Kopf. »Nein, kein Traum hat mich hierhergeführt, es war eine Vision. Ich träume nie.«
    »Alle Menschen träumen«, entgegnete Baba Zaman sanft. »Wahrscheinlich erinnerst du dich nur nicht immer daran. Das heißt freilich nicht, dass du nicht träumst.«
    »Es ist aber so, ich träume nicht«, wiederholte der Derwisch. »Das gehört zu der Abmachung, die ich mit Gott getroffen habe. Als ich ein kleiner Junge war, sah ich Engel, und meinen Augen enthüllten sich die Mysterien des Universums. Als ich es meinen Eltern erzählte, waren sie alles andere als erfreut und befahlen mir, mit dem Träumen aufzuhören. Als ich mich meinen Freunden anvertraute, nannten auch sie mich einen hoffnungslosen Träumer. Ich sprach mit meinen Lehrern darüber, doch auch da war es dasselbe. Da erkannte ich, dass die Menschen alles, was ihnen ungewöhnlich erschien, als Traum bezeichneten, und das Wort mit allem, wofür es stand, wurde mir zuwider.«
    Der Derwisch schwieg so unvermittelt, als hätte er plötzlich ein Geräusch gehört. Und dann geschah das Merkwürdigste überhaupt. Er stand auf, streckte sich und ging ganz langsam und bedächtig auf die Tür zu. Und die ganze Zeit blickte er in meine Richtung, als wüsste er, dass ich dahinterstand und hineinlinste.
    Als könnte er durch die Holztür hindurchsehen.
    Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich wollte in die Küche zurücklaufen, aber es ging nicht. Meine Arme, meine Beine – mein ganzer Körper war wie gelähmt. Auf der anderen Seite der Tür waren die dunklen Augen von Schams-e Tabrizi auf mich gerichtet. Ich war starr vor Schrecken und spürte doch eine ungeheure Energie durch meinen Körper fluten. Schams kam noch näher und legte die Hand auf den Griff, aber als ich schon dachte, er würde die Tür öffnen und mich erwischen, hielt er inne. Aus dieser Nähe konnte ich sein Gesicht nicht sehen und nicht erkennen, was ihn umgestimmt hatte. Eine unerträglich lange Minute verharrten wir so. Dann machte er kehrt und fuhr, während er sich von der Tür entfernte, mit seiner Geschichte fort.
    »Als ich dann etwas älter war, bat ich Gott darum, das Vermögen zu träumen von mir zu nehmen, damit ich bei jeder Begegnung mit Ihm wisse, dass ich nicht träumte. Er stimmte zu und nahm mir alle Träume. Deswegen träume ich nie.«
    Schams-e Tabrizi stand jetzt hinten im Raum am offenen Fenster. Draußen nieselte es. Nachdenklich betrachtete er den leichten Regen und sagte schließlich: »Gott hat mir das Vermögen zu träumen genommen. Aber zum Ausgleich verlieh Er mir die Gabe, die Träume anderer zu deuten. Ich bin ein Traumdeuter.«
    Ich erwartete, dass Baba Zaman diesen Unsinn von sich weisen und den Derwisch ausschelten würde, so wie er mich immer ausschalt.
    Doch der Meister nickte voll Ehrfurcht und sagte: »Du bist ein sehr ungewöhnlicher Mensch. Sag mir, was ich für dich tun kann.«
    »Ich weiß es nicht. Eigentlich hatte ich gehofft, dass du es

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