Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
auf und nickte aus ganzem Herzen. »Ja, natürlich! Und meine Kraft kommt von innen!«
»Nun gut. Hier ist deine erste Aufgabe: Du gehst in die nächste Schenke, kaufst dir einen Krug Wein und trinkst den Wein hier im Basar!«
Nun war ich es zwar gewohnt, mit meinen Gewändern Böden zu schrubben und Töpfe und Pfannen zu polieren, bis sie funkelten wie das venezianische Glas, das ich einmal in der Hand eines Künstlers gesehen hatte, der lange zuvor, nach der Plünderung der Stadt durch die Kreuzritter, aus Konstantinopel geflohen war. Ich konnte ohne Pause hundert Zwiebeln fein hacken oder Knoblauch schälen und zerkleinern, alles im Namen der spirituellen Reifung. Aber zu diesem Zweck mitten in einem belebten Basar Wein zu trinken überstieg meine Fähigkeiten. Ich warf Schams einen entsetzten Blick zu.
»Das kann ich nicht. Wenn mein Vater davon erfährt, bricht er mir alle Knochen. Er hat mich nicht in die Derwisch-Bruderschaft geschickt, damit ich ein Heide werde, sondern damit ein besserer Moslem aus mir wird. Was sollen meine Verwandten und Freunde von mir denken?«
Ich spürte Schams glühenden Blick auf mir ruhen und erschauderte vor Angst, so wie damals, als ich ihn hinter der geschlossenen Tür beobachtet hatte.
»Siehst du, du kannst nicht mein Schüler werden«, rief er entschieden. »Du bist zu furchtsam für mich. Dich kümmert viel zu sehr, was die anderen denken. Aber ich kann dir sagen: Wer so sehr auf die Anerkennung durch andere aus ist, wird ihrer Missbilligung nie entkommen, er mag sich noch so bemühen.«
Ich erkannte, dass ich die Gelegenheit, ihn zu begleiten, fast verspielt hatte, und begann mich hastig zu rechtfertigen. »Woher hätte ich wissen sollen, dass dein Befehl nicht ernst gemeint war? Wein ist im Islam streng verboten. Ich dachte, du wolltest mich prüfen.«
»Das hieße Gott spielen. Es ist nicht an uns, die Frömmigkeit anderer zu beurteilen und zu bemessen.«
Ich blickte mich verzweifelt um. Ich wusste nicht, wie seine Worte zu verstehen waren, und alle möglichen Gedanken schossen mir durch den Kopf.
»Du sagst, du willst den Weg beschreiten«, fuhr Schams fort, »aber du bist nicht bereit, etwas dafür zu opfern. Geld, Ruhm, Macht, Verschwendung oder Fleischeslust – was immer einem Menschen im Leben teuer und am meisten wert ist, davon muss er als Erstes lassen.«
Er tätschelte sein Pferd und fügte in einem Ton, der sehr endgültig klang, hinzu: »Du solltest bei deiner Familie in Bagdad bleiben. Such dir einen ehrlichen Kaufmann und werde sein Lehrling. Mir scheint, aus dir könnte einmal ein guter Händler werden. Aber sei nie gierig! So, und jetzt reite ich weiter, wenn du erlaubst.«
Er winkte mir ein letztes Mal zu, trieb sein Pferd an und galoppierte so geschwind davon, dass die Welt unter dem Trommeln der Hufe wegzurutschen schien. Ich sprang auf mein Pferd und ritt ihm nach bis hinter die letzten Häuser der Stadt, aber er entfernte sich immer rascher, bis er schließlich nur mehr ein dunkler Fleck in der Ferne war. Noch lange nachdem sich dieser Fleck am Horizont verloren hatte, spürte ich das Gewicht von Schams Blick auf mir.
ELLA
NORTHAMPTON, 24. MAI 2008
B ei Weitem die wichtigste Mahlzeit des Tages ist das Frühstück. Ella glaubte fest an diesen Grundsatz, und so führte sie an jedem Morgen, an den Wochenenden wie unter der Woche, ihr erster Weg in die Küche. Ein gutes Frühstück setzte ihrer Ansicht nach den richtigen Ton für den Rest des Tages. In Frauenzeitschriften hatte sie gelesen, dass eine Familie, die regelmäßig gemeinsam frühstückte, sich durch eine engere Bindung und größere Harmonie auszeichnete als eine, bei der alle noch halb hungrig aus dem Haus gingen. Doch obwohl sie fest an diese Forschungsergebnisse glaubte, war es ihr bisher nicht vergönnt gewesen, ein solch fröhliches Frühstück zu erleben, wie es in den Magazinen beschrieben wurde. Ihrer Erfahrung nach war das Frühstück ein Zusammenprall von Welten, wie sie verschiedener nicht sein konnten. Jeder wollte etwas anderes essen, was Ellas Vorstellung von Gemeinsamkeit völlig widersprach. Wie sollte am Tisch Einmütigkeit herrschen, wenn die eine an einer Scheibe Marmeladentoast knabberte (Jeannette), ein anderer Honigpops mampfte (Avi), der Dritte geduldig auf sein Rührei wartete (David), während sich die Vierte weigerte, überhaupt etwas zu sich zu nehmen (Orly)? Dennoch war das Frühstück wichtig, und sie machte es jeden Morgen, weil sie unbedingt
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