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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Mann für den Fall einer unglücklichen Wendung bereit. Jeder Kämpfer erhielt drei Patronenmagazine, also nur fünfzehn Schuß. Bagradian legte den Männern ans Herz:
    »Keine Kugel umsonst! Sollte der Kampf auch drei Tage dauern, jeder muß mit seinen drei Magazinen auskommen. Spart, sonst sind wir verloren. Und das Allerwichtigste! Das Feuer wird nur auf meinen Befehl eröffnet! Ihr habt mich alle anzuschauen! Wir müssen die Türken, die von uns nichts wissen werden, bis auf zehn Schritt herankommen lassen. Und dann ruhig auf die Köpfe zielen, und ruhig schießen. In der nächsten Stunde wollen wir hier auf dem Damlajik das Verbrechen an unserm Volke rächen, in der nächsten Stunde wollen wir den Türken beweisen, daß wir in unserer Schwäche ihnen noch hundertmal überlegen sind. Und jetzt denke jeder von euch an das Gräßliche, das sie uns angetan haben, und sonst an nichts!«
    Während Gabriel Bagradian sprach, klopfte ihm das Herz bis in die Rede hinein, so daß er sich zusammennehmen mußte, damit niemand etwas merke. Es war nicht nur die tiefe Erregung, die jeden Mann vor einem Feuergefecht packt, es war das Bewußtsein des Ungeheuerlichen, des ganz und gar Wahnsinnigen, das er mit seinem lächerlichen Haufen gegen eine Weltarmee wagte. Trotz seiner aufpeitschenden Worte aber lebte jetzt in seinem wallenden Blut keine Spur von jenem Haß und Rachedurst gegen die Türken, den er soeben den Kämpfern gepredigt hatte. Es war die ganz unpersönliche Erwartung eines Feindes, der nicht mehr Türke war, nicht mehr Enver, Talaat, Polizeivogt, Müdir, sondern nur kriegerischer Feind an sich, den man vernichtet, ohne ihn zu hassen. So wie Bagradian aber erging es auch allen anderen. Die Erwartung wurde fast zum Herzstillstand, als die Späherknaben aus dem Dickicht vorbrachen und mit wilden Gesten den Anmarsch der Türken meldeten. Die Erregung aber wich sofort einem eisigen Gleichmut, als die Schritte der Infanteristen durch den Wildwuchs näher knackten und ein unvorsichtiger Lärm emporschwoll, der sich keines Bösen versah.
    Die türkischen Soldaten füllten nach und nach, vom Aufstieg erschöpft, in aufgelöster Marschordnung, die Sattelkerbe. Der kommandierende Hauptmann schien wirklich tief davon durchdrungen zu sein, daß es sich um keine militärische, sondern lediglich um eine polizeiliche Unternehmung handle, sonst hätte er gewiß nicht die primitivsten Vorsichtsmaßregeln außer acht gelassen, welche die Anfangsgründe der Taktik für eine Truppe im feindlichen Gelände vorschreiben. Durch keine Patrouillen, keine Vor-, Seiten- und Nachhut gesichert, hatte sich ein planloses Durcheinander von plappernden, lachenden, rauchenden Infanteristen im Sattelgrund versammelt, um sich von der Bergbesteigung zu erholen.
    Tschausch Nurhan kroch im Graben zu Gabriel Bagradian und suchte ihn, scharf flüsternd und gestikulierend, zu überreden, die Türken von allen Seiten zu umgehen und abzuschneiden. Gabriel preßte aber, mit verzerrtem Gesicht, seine Hand auf Nurhans Mund und versetzte ihm einen Stoß. Der Kompagniehauptmann, ein dicker gemütlicher Herr, hatte seine Fellmütze mit dem Halbmond abgenommen und wischte sich den Schweiß ab, der ihm von der Stirn strömte. Die jungen Zugsoffiziere versammelten sich um ihn. An Hand einer kleinen Kartenskizze begannen alle, ziemlich unmilitärisch, über den mutmaßlichen Aufenthalt der Armenier zu streiten. Glühende Ewigkeiten vergingen für Bagradian. Der ausgepumpte Hauptmann nahm sich nicht einmal die Mühe, einen höheren Punkt zu ersteigen, um das Terrain zu prüfen. Endlich ließ er seinen Trompeter das Signal zur Vergatterung blasen, und zwar in schallenden Wiederholungen, wohl um dem Armenierlager den Schreck des Gerichts in die Glieder zu jagen. Die vier Züge nahmen in entwickelter Linie, zwei Glieder tief, Aufstellung, alles wie auf dem Kasernhof. Die Chargen sprangen vor die Front und machten den Offizieren Meldung, die Offiziere traten mit gezogenem Säbel vor den Hauptmann, um ihrerseits Meldung zu machen. Gabriel prägte sich das Gesicht des Kompagnieführers nicht ohne Sympathie ein. Es war ein breites freundliches Gesicht mit einer goldgefaßten Brille, die auf der Nasenmitte saß. Nun zog auch der Hauptmann den Säbel und kommandierte mit einer hohen und schwachen Stimme: »Bajonett auf!« Die Gewehrgriffe klapperten. Der Hauptmann ließ seinen Säbel über dem Kopf kreisen und zeigte dann mit der Spitze auf die armenische Sattellehne: »Erster,

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