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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Wort zu sagen, eine scharf abschneidende Handbewegung, die Schweigen gebot. Der Unbändige jedoch begehrte jetzt so laut auf, daß man das Überschnappen seiner mutierenden Stimme auf dem ganzen Platz hören konnte:
    »Warum Haik und nicht ich, Papa?! Ich werde nach Aleppo gehn!«
    Eine derartige Sohnesauflehnung war unter Armeniern etwas ganz und gar Unerhörtes und konnte nicht einmal durch die außerordentlichen Umstände und den heldenmütigen Ehrgeiz entschuldigt werden. Ter Haigasun hob mit ungeduldigem Ausdruck den Kopf:
    »Weisen Sie Ihren Sohn zurecht, Gabriel Bagradian!«
    Pastor Aram Tomasian, von Zeitun her den Umgang mit schwieriger Jugend gewohnt, suchte Stephan zu beruhigen:
    »Der Führerrat hat den Befehl gegeben, daß nur einer nach Aleppo geht. Du als großer und kluger Mensch mußt es ja wissen, was für uns alle ein Befehl des Führerrates bedeutet. Widerspruchslosen Gehorsam! Nicht wahr?«
    Der Eroberer der türkischen Haubitzen ließ sich jedoch mit Gesetz und Verfassung nicht abspeisen. Er hatte gar keine Vorstellung von der Aufgabe und seiner eigenen Untauglichkeit. Nur die Demütigung fühlte er und die Zurücksetzung hinter den großen Nebenbuhler. Die Gegenwart so vieler würdiger Personen dämpfte seine dreiste Gereiztheit um keinen Hauch. Er sah immer seinen Vater an:
    »Haik ist nur um drei Monate älter als ich. Er spricht nicht einmal französisch. Mr.Jackson wird ihn nicht verstehn. Und was Haik kann, das kann ich auch.«
    Jetzt riß Gabriel Bagradian die Geduld. Er machte einen heftigen Schritt auf Stephan zu:
    »Was kannst du? Nichts kannst du! Ein verweichlichter Europäer, ein verzogenes Großstadtkind bist du. Dich fängt man wie eine blinde Katze. Fort mit dir jetzt! Geh zu deiner Mutter! Hier will ich dich nicht länger sehen, sonst …«
    Diese Worte einer harten Züchtigung waren recht unweise. Sie trafen Stephan an der verwundbarsten Stelle. Von seiner mühsam erkämpften Höhe schleuderten sie ihn vor aller Öffentlichkeit herab. Nun waren all seine Taten vergeblich getan, der Bibelraub für Iskuhi und das Heldenstück mit den Geschützen, das ihm beinahe den Ehrentitel »Elleon« eingetragen hätte. Blitzhaft lernte Stephan verstehen, daß keine Tat für die Ewigkeit getan ist, daß in allem Ruhm rachsüchtige Untreue steckt und daß man immer wieder von vorne anfangen muß. Er wurde plötzlich ganz still. Seine gebräunte Haut rötete sich immer dunkler. Er sah Iskuhi mit riesigen Augen an, als entdecke er sie erst jetzt. Es schien ihm, daß sie seinen Blick streng und unfreundlich abweise. Iskuhi als feindselige Zeugin seiner Niederlage, das war zu viel. Unversehens plärrte Stephan los, nicht wie ein beinahe erwachsener Mensch, nicht wie ein Meisterschütze, nicht wie der Eroberer feindlicher Geschütze, sondern wie ein kleiner Junge, dem Unrecht geschieht. Dieses schluchzende Kinderweinen aber löste in der Umgebung durchaus kein Mitgefühl aus, sondern ganz im Gegenteil Schadenfreude. Es war eine ziemlich zusammengesetzte Schadenfreude, die nicht nur Stephans Kameraden, sondern auch die Großen empfanden, und sie galt nicht nur dem Bagradiansohn, sondern aus dunklen Ursachen auch Gabriel Bagradian selbst. Das Grundverhältnis von Menschen untereinander verändert sich fast nie. Dieses Grundverhältnis zwischen den Bagradians und dem ansässigen Volk drückte sich aber, trotz aller Siege, aller Bewunderung, Dankbarkeit, Verehrung, noch immer zutiefst in dem Gefühle aus: Ihr gehört nicht zu uns. Die Gelegenheit für dieses Gefühl mußte nur auftauchen, wie eben jetzt. Stephan unterdrückte sein heulendes Elend sogleich. Aber die kurze Äußerung seines Schmerzes hatte genügt, unter seinen Kameraden, in der Haik-Bande sowie in den übrigen Gruppen der Jugendkohorte reichlichen Hohn zu erregen. Spottworte sausten. Selbst der einbeinige Hagop lachte nachdrücklich und auffällig. Nur Haik selbst stand ernst in sich versunken, als gehe ihn dieser Zwischenfall nichts an und reizte nicht einmal seine Heiterkeit. Stephan hatte keine andere Wahl als mit verräterisch zuckenden Schultern gemächlich davonzuschlendern, seine Schmach gleichmütig im Rücken lassend. Gabriel Bagradian sah seinem Sohne stumm nach. Der Ärger war ganz und gar verflogen. Die Erinnerung an den alten Brief des Knaben aus Montreux verstörte ihn. Stephan, hübsch gekleidet, den Kopf nach Kinderart schief übers Papier gebeugt, malt große Buchstaben. Und wieder war es das herzzerreißende

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