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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Eigenschaften, die ihr ein Ansehen verschafft hätten, verbarg sie aber geflissentlich, weil sie sich damit sozial zu schaden fürchtete. Wie mit den Tieren, so verstand sie es auch, mit den wahnsinnigen Weibern zu reden, die im Friedhofumkreis von Yoghonoluk hausten. Sie merkte es gar nicht, daß diese atem- und sinnlosen Plaudertaschen anders plapperten als vernünftige Weiberzungen sonst: Es war jedenfalls angenehm, an solchen Disputen teilzunehmen, die ein Mindestmaß von Mühe und Anstand der Sprache gegenüber erforderten. Die kleinen Tiere, die Närrinnen und etwa die blinden Bettler noch, das war das Reich, aus dem Sato jene Überlegenheitsgefühle bezog, die jedes Menschenwesen zum Leben braucht. Was freilich Nunik, Wartuk und Manuschak anbelangt, war sie die Dienende und Ehrfürchtige. Durch die Entwicklung der Dinge aber war die Gemeinschaft zerrissen. Die Streifzüge in dem Geviert der Verteidiung blieben ergebnislos und langweilig. Die Jugendlichen stießen sie unerbittlich aus ihren Reihen. Ihre beschäftigungslose Unruhe wurde nach und nach auf ein anderes Gebiet gelenkt: Ausspionieren der Erwachsenen! Mit feinster Witterung, die aller unerlernbaren Schullehre spottete, erkannte sie, was in diesen Erwachsenen aufgelöst, tierhaft, bettelgierig, suchtvoll und verrückt war. Sie hörte das Gras jener gefährlichen Gefühle wachsen, von deren Bestand in der Welt sie kaum eine Ahnung hatte. Wo etwas nicht in Ordnung war, zog sie, ohne daß sie es wußte, der lüsterne Spionen-Magnet hin.
    Es kann somit nicht wundernehmen, daß Sato sehr bald an Gonzague und Juliette abgelesen hatte, was geschehen war. Das prickelnde Vorgefühl einer großen Katastrophe erfüllte sie. Alle Enterbten kennen diese Katastrophen-Freudigkeit, diese süße Hoffnung auf Weltuntergang, welche eine der vorzüglichsten Triebfedern der kleinen Skandale und großen Revolutionen ist. Sato war scharf hinter dem Paar her. Juliette und Monsieur Gonzague bedeuteten für sie neben Bagradian das Glänzendste, was ihr im Leben begegnet war. Sie flößten ihr nicht den Haß ein, den schlechte Dienstboten gegen ihre Herrschaft empfinden, sondern die heiße Neugier des Primitiven für das, was ihm halb und halb als überirdisch erscheint. Vor Gonzague aber, der sie mit seiner donnernden Schlagermusik einst so sehr erschreckt hatte, empfand sie die sehrende Furcht einer geprügelten Hündin.
    Rasch hatte Sato die Ruheplätze, die Rhododendron- und Myrtenheimlichkeiten der Riviera heraus. Von Wonne überrieselt, zwängte sie ihr Gesicht leise durch das Zweigicht. Ihre geblendeten Augen tranken das Spektakel, das ihr die Götter gaben. Die erhabene Frau, Hanum aus dem Frankenlande, die Immer-Duftende, die Riesin, nun hing ihr das Haar halb aufgelöst herab, nun drängte sie die erloschene Fläche ihres Gesichtes mit dem breit schmachtenden Mund an das gemessene Gesicht des Mannes, der mit verhängtem Blick, und doch überwach, die Gabe erst kostete, ehe er sie ganz entgegennahm. Zitternd sah Sato die großen schmalen Hände Gonzagues, die wie die allwissenden Hände der blinden Tarspieler die weißen Schultern und Brüste der Hanum überspielten.
    Sato sah, was zu sehen war. Sie sah aber auch, was nicht zu sehen war. Die Lehrer zwar hatten sie längst aufgegeben. In das lallende und ziellos bildernde Gehirn der Kreatur ließ sich nicht einmal das Alphabet und das Einmaleins stanzen. Nun wohl, Sato war zurückgeblieben, weil ihr überentwickelter Spür- und Fährtensinn alles geistige Vermögen geschluckt hatte. Hinter Myrten und Rhododendron verborgen, genoß sie nicht allein den brennenden Reiz des Schauspiels, sondern darüber hinaus die Zerrissenheit der Hanum und die Festigkeit Gonzagues. Ihr Verstand wußte nichts, ihre Witterung alles. Sato hätte keinen Grund gehabt, diese Voyeur-Wonnen vorzeitig abzukürzen, wäre nicht eine Verwirrung hinzugekommen, die sie in dem einzigen weichen Gefühle traf, das sie besaß. Ihrer Spürnase konnte das andere Paar nicht lange entzogen bleiben. Dieses Paar bot kein Schauspiel und besaß kein Versteck seiner Leidenschaft. Niemals verschwand es im labyrinthischen Buschgürtel der Meerseite, sondern bevorzugte die kahlen Kuppen und das leere Gewelle des Hochplateaus. Nur schwer konnte man die beiden verfolgen, ohne entdeckt zu werden. Doch Sato besaß zum Glück, oder richtiger zum Unglück die Eigenschaft, sich unsichtbar machen zu können. Hierin war sie selbst Meister Haik überlegen. Dieses zweite Paar

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