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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Abschied genommen hatte, ohne Abschied zu nehmen. Warum eigentlich? Er konnte sich gar nicht mehr erinnern. Der Damlajik schien heftig zu atmen, näher zu schweben, auf die Straße nach Aleppo, auf das Bauernhaus der turkmenischen Hügel, auf Stephan Bagradian zu. Haik wußte alles. In ihm erwachte die Gütigkeit des wahrhaft Starken, die angesichts eines Unterliegenden so gerne schwach wird:
    »Hab keine Angst! Wir bleiben so lange, bis du wieder wirst laufen können.«
    Der Fiebernde starrte noch immer verklärt küstenwärts:
    »Ganz nahe … ganz nahe sind sie … ich meine die Berge …«
    Dann aber rappelte er sich auf, erregt, als sei es nun höchste Zeit. Haiks drohende Worte klangen ihm in den Ohren. Er wiederholte sie mit klappernden Zähnen:
    »Es geht nicht um mich und dich, sondern um den Brief an Jackson …«
    Haik nickte bestätigend, doch ohne Vorwurf:
    »Besser wäre es schon gewesen, wenn dich Hagop angezeigt hätte …«
    Stephans verschrumpftes Gesichtchen begehrte nicht mehr auf, sondern versuchte friedfertig zu lächeln:
    »Das macht nichts … Du wirst durch mich keine Zeit verlieren … Ich gehe zurück … morgen …«
    Haik duckte sich plötzlich und winkte Stephan heftig, desgleichen zu tun. Von der nahen Straße, die den ganzen Tag nicht sonderlich belebt gewesen war, drang ein merkwürdiges Gescharre mit lallenden Jammerlauten herauf. Ein paar Saptiehs trieben einen kleinen Armeniertransport gegen Hammam. Transport war freilich eine allzu großartige Bezeichnung für diese dürftige Nachfechsung alter Leute und kleiner Kinder, die man in irgendwelchen gottverlassenen Dörfern aufgestöbert hatte. Die Saptiehs, die noch vor Mitternacht in Hammam sein wollten, fluchten und hieben auf den armseligen Spuk ein, so daß er unglaublich rasch hinter der nächsten Straßenbiegung verschwand. Dieser bedeutsame Zwischenfall schien Haiks Meinung endgültig befestigt zu haben:
    »Ja! Es ist das allerbeste, wenn du zurückgehst. Aber wie? Durch die Sümpfe kannst du allein nicht kommen …«
    In Stephans Geist, der die Berge so traulich nahe fühlte, verwirrten sich alle Maße:
    »Warum denn nicht? Der Weg ist nicht weit …«
    Haik aber schüttelte entschieden den Kopf:
    »Nein, nein, durch den Sumpf kannst du allein nicht kommen. Es ist besser, du gehst an Antakje vorbei. Dort, siehst du!? Das ist viel leichter … Aber auch dort werden sie dich auf den Wegen erwischen. Du sprichst nicht türkisch, du kannst nicht beten wie sie und siehst überhaupt so aus, daß sie gleich rasend werden …«
    Stephan sank träumerisch auf seine Decke zurück:
    »Ich werde ja nur in der Nacht laufen … Vielleicht erwischen sie mich dann nicht …«
    »Ach, du«, brummte Haik mitleidsvoll verächtlich und überlegte, wie weit er Stephan begleiten könne, ohne mehr als einen Tag für seine große Aufgabe zu verlieren. Der Bagradiansohn aber, dem in fieberfröstelnder Behaglichkeit jetzt alles einfach und leicht vorkam, stammelte vor sich hin:
    »Vielleicht wird mir Christus helfen …«
    Diese Hilfe freilich erschien unter den obwaltenden Umständen Haik noch als die einzig praktische. Außer der himmlischen hatte er sehr wenig andere Hoffnung für die glückliche Heimkehr Stephans auf den Musa Dagh. Und wirklich, eine höhere Macht schien jetzt zu Stephans Gunsten eingreifen zu wollen. Der turkmenische Hausvater erkletterte über die angelehnte Leiter sein Dach und begann die Schilfbündel und das Süßholz hinabzuwerfen. Haik sprang sogleich auf und half ihm diensteifrig bei dieser Arbeit. Als sie mit ihr fertig waren, schien der Bauer einen überraschenden Einfall zu haben und blinzelte Stephan an:
    »Wollt ihr mit, ihr Burschen? Morgen früh fahre ich nach Antakje zum Markt. Weil ihr aus Antakje seid, will ich euch nach Hause bringen. Noch am Abend werden wir dort sein …«
    Und mit stolzem Selbstbewußtsein wies er auf den großen Stall hinter dem Hause:
    »Ich fahre nicht mit dem Ochsenwagen, damit ihr es wißt, sondern mit dem Pferdchen und einem wirklichen Räderwagen.«
    Haik schob den falschen Turban ein wenig zur Seite, um sich nachdenklich seinen Kopf zu kratzen, den Witwe Schuschik vor seinem Aufbruch kahlgeschoren hatte:
    »Nimm den Vetter Hüssein hier nach Antakje mit, Vater! Seine Leute wohnen dort. Die Meinigen sind ja in Hammam. Schade, daß du mit deinem Wagen nicht nach Hammam fährst! Da werd ich halt laufen müssen …«
    Der Turkmene versenkte sich aufmerksam in den Anblick

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