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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Stephan nur sehr selten, Mamas reines Bild zu gewinnen. Meist war sie auf eine für ihn leidvolle Art mit Iskuhis Gestalt zusammengeschmolzen. Er konnte dagegen nichts tun, obgleich ihn das Zwitterbild eigentümlich peinigte. Dann aber mahnte ihn wieder Haiks Stimme, die Zeit nicht leichtsinnig zu vertrödeln. Jetzt war es Tag, jetzt hieß es schlafen und Kraft sammeln für den nächtlichen Weg. Er preßte, dem Freunde gehorsam, die Lider zu. Doch sein Knabenkörper hatte gegen den Schlaf schon so schwer gesündigt, daß dieser nichts mehr von ihm wissen wollte, sondern nur einen untergeordneten, aus Ohnmacht, Fieberflut und Überwachheit gemischten Wechselbalg schickte, der die Glieder lähmte, anstatt sie zu erquicken. Stephan schlief, und erwachte nicht, als das Tageslicht immer goldhaltiger wurde, der abgehetzte Gaul in klapprigem Schritt einherzottelte und der Karrenweg ins Steigen zu kommen schien. Der Bauer hielt und hieß den fiebernden Fahrgast aussteigen. Mit schwerer Mühe entriß sich Stephan seinem Zustand und kroch vom Wagen herab. Er sah in mäßiger Ferne eine nackte Kuppe, von Festungsmauern umgürtet, deren Fuß mit weißen Häuserwürfeln weithin bedeckt war. Der Turkmene stieß seine Peitsche in dieses Bild:
    »Habib en Neddschar, die Zitadelle! Antakje! Jetzt mußt du dich besser verstecken, Junge!«
    Tatsächlich mündete der holprige Weg ein paar hundert Schritte weiter in die Bezirksstraße von Hammam, die Dschemal Pascha ebenfalls hatte neu schottern lassen. Auf dieser frischen Bahn herrschte unerwartet großes Leben. Der Turkmene schob die Schilfbündel auseinander, wodurch im Wagen eine tiefe Grube entstand:
    »Da kriech hinein! Ich führ dich durch die Stadt und noch ein Stück über die Eiserne Brücke hinaus. Weiter aber gehts nicht. So und jetzt bleib still liegen!«
    Stephan streckte sich aus. Der Bauer bedeckte ihn sehr geschickt, so daß er Luft bekam und unter der Last nicht allzusehr zu leiden hatte. In diesem Grabe wichen alle Gedanken und Bilder von der Seele des Bagradian-Sohnes. Er lag da, nur mehr ein Stück gleichgültiger Schwere, ohne Furcht und ohne Mut. Der Wagen rollte schon auf der breiten Straße, glatt und angenehm. Stimmen lärmten und lachten von allen Seiten. Gleichgültig vernahm sie Stephan in seiner Tiefe. Dann holperte die Fahrt wieder, wie es schien, über eine gepflasterte Strecke. Plötzlich aber hielt der Wagen mit einem erschrockenen Ruck. Männer näherten sich und umstellten das Gefährt. Ohne Zweifel Saptiehs, Soldaten oder Polizisten. An Stephans Ohr drang das Gespräch dumpf und doch wie durch ein Schallrohr verstärkt:
    »Wohin, Bauer?«
    »In die Stadt, zum Wochenmarkt! Wohin denn anders?«
    »Hast du deine Papiere in Ordnung? Zeig her! Was führst du da?«
    »Marktware! Seht selbst nach. Schilf für die Zimmerleute und ein paar Oka Süßholz …«
    »Verbotenes hast du nichts? Kennst du das neue Gesetz? Getreide, Mais, Kartoffeln, Reis, Öl müssen an die Behörde abgeliefert werden.«
    »Ich habe meinen Mais schon in Hammam abgeliefert.«
    Ein paar Hände begannen die obersten Schichten flüchtig durcheinander zu werfen. Stephan fühlte es, ohne Furcht und ohne Mut. Dann zog das matte Pferdchen wieder an. Sie fuhren durch einen Tunnel von schreienden Menschenstimmen im trägsten Schritt. Immer schwächer sickerte das Licht zu Stephan hinab. Es war schon dunkel, als der zweite Anruf erfolgte. Der Turkmene aber hielt jetzt gar nicht an. Eine hohe Stimme keifte hinterdrein:
    »Was habt ihr da für neue Sitten? Nächstens fährst du am Tag. Verstanden? Wann werden diese Klötze endlich begreifen, daß wir Krieg haben.«
    Die Hufe klapperten über die riesigen Steinquadern der Kreuzfahrerbrücke, die aus einer vergessenen Ursache »Die Eiserne« genannt wird. Hinter der Brücke befreite der Turkmene den Fiebernden von seinen Lasten. Stephan durfte sich nun wieder, in seine Decke gewickelt, zwischen die Schilfbündel legen. Der Bauer war höchst zufrieden:
    »Freu dich, Junge! Nun hast du das Schlimmste hinter dir. Allah meint es dir gut. Deshalb werde ich dich auch noch ein Stückchen weiter bis Mengulje bringen, wo ich bei einem Gevatter den Gaul einstellen und übernachten kann.«
    Obgleich Stephans Lebensdocht tief herabgeschraubt war, erwies sich die Entspannung jetzt als doch so groß, daß er sogleich in einen schweren Schlaf verfiel. Der Turkmene trieb sein armes Roß noch einmal an, um mit seinem Schützling so schnell wie möglich im Dorf

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