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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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absteigen und sich mit dem Alten wegabseits auf der verbrannten Steppe lagern. Der Karrenweg war fast überhaupt nicht befahren. Bisher waren ihnen nur zwei Ochsenkarren aus der Gegenrichtung begegnet. Die Bauern der Gegend benützten die große Straße, die von Hammam nach Antakje führt. Der Turkmene packte Fladenbrot und Ziegenkäse aus und schob Stephan einen Anteil zu:
    »Iß davon, Junge! Essen schlägt alle Schmerzen tot.«
    Stephan wollte seinen Wirt nicht kränken und biß mit matten Zähnen in den Käse. Er kaute und kaute, ohne den ersten Bissen schlucken zu können. Der Freundliche blickte ihn sorgenvoll an:
    »Vielleicht wirst du mehr Kraft brauchen als du hast, Söhnchen …«
    Stephan verstand die gutturalen Worte nicht, durfte es aber nicht zu erkennen geben. Er verneigte sich deshalb, legte die Hand aufs Herz und rezitierte den Universalsatz von seiner Krankheit, mochte er passen oder nicht:
    »Ben bir az hasta im.«
    Der Turkmene schwieg lange. Dann machte er, während seine mächtigen Backenknochen geruhsam mahlten, eine heftige Bewegung mit seiner messerbewehrten Faust, als wolle er etwas entzweischneiden. Stephan erschrak bis ins Lebensmark. Denn nun hörte er armenische Worte:
    »Du heißt gar nicht Hüssein. Laß diese Geschichten! Willst du wirklich nach Antakje? Ich glaube es dir nicht.«
    Stephan wäre durch diesen Schlag fast um die Besinnung gekommen. Trotz seines Fiebers rannen ihm kalte Schweißtropfen über die Stirn. Die kleinen tiefliegenden Augen des Turkmenen waren sehr traurig geworden:
    »Fürchte dich nicht, wie du auch heißt, und glaube an Gott! Solange du bei mir bist, wird dir nichts geschehen.«
    Stephan nahm all seine Kenntnisse zusammen und versuchte ein paar türkische Worte zu stammeln. Der alte Bauer winkte ab, noch immer mit dem Messer in der Hand. Er brauchte keine Worte mehr. Der elenden Herden gedachte er, die von den Saptiehs bei Tag und Nacht an seinem Hause vorbeigetrieben wurden:
    »Woher stammst du, Junge? Kommst du aus dem Norden? Bist du ihnen durchgebrannt? Fort aus einem Transport, he?«
    Stephan faßte notgedrungen Zutrauen. Kein Leugnen hätte mehr geholfen. Er flüsterte ein rasches, abgehacktes Armenisch, damit ihn nur sein Wirt und nicht die feindselig lauschende Welt verstehen könne:
    »Ich bin von hier. Vom Musa Dagh. Aus Yoghonoluk. Ich will nach Hause. Zu meinen Eltern.«
    »Nach Hause?« Die knollige Bauernhand strähnte weisheitsvoll den grauen Bart: »Da gehörst du ja zu denen, die auf den Berg gezogen sind und dort Krieg gegen unser Militär führen. Schau einmal an …« Die Stimme des Guten verfinsterte sich. Stephan glaubte schon, jetzt sei alles zu Ende. Er sank zur Seite und preßte schicksalergeben das Gesicht auf den braundürren Pelz dieser Erde. Der Turkmene hielt sein großes Messer in der Hand. Er mußte bloß zustoßen. Wann würde ers tun? Doch nur die schmunzelnde Stimme des Alten schlug an sein Ohr:
    »Und wie heißt der andre, dein Vetter, dieser Essad? Das ist eine geriebene Seele. Die bekommt man nicht so leicht wie dich, Junge …«
    Stephan gab keine Antwort. In die letzte Bereitschaft eingewühlt, wartete er. Bald aber fühlte er sich von steinharten, doch sanftmütigen Händen aufgehoben:
    »Was kannst denn du für die Alten und ihre Schuld? Gott möge dich hinbringen. Es wird dir und es wird ihnen nichts nützen. Jetzt komm! Wir wollen sehen, was sich machen läßt.«
    Stephan mußte sich wieder in den Wagen zwischen die Schilfbündel legen. Der Turkmene aber schien ungeduldig geworden zu sein und hieb auf den Gaul ein, obgleich dieser so viele Meilen schon hinter sich hatte und sein struppiges Fell von Schweiß glänzte. Die Fahrt geriet jetzt oft in scharfen Trab, ja in kurzen Galopp, während der Bauer sonderbare Selbstgespräche führte oder das Pferd mit tadelnden Zurufen bedachte. Wie sehr Stephan auch zusammengeschüttelt wurde, er fühlte sich auf seinem rasselnden Bett immer tiefer in Gottes wohliger Hut. Er versuchte an Mama zu denken. War sie wirklich krank? Ach nein, nichts, gar nichts war geschehn. Was aus Sato, dieser Hündin, kommt, ist Gestank und Lüge. Wenn er, Stephan, zurückkehrt, wenn er vor dem langen Graben des Nordsattels stehen wird, dann rennt Awakian wie ein Toller um Papa, dann stürzen sie beide ihm entgegen, die Eltern, dann werden sie vor Freude über den Geretteten weinen, dann werden sie ihn umarmen und sich umarmen wie in alter Zeit. Trotz dieser mühsamen Gaukeleien gelang es

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