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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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des Pfiffigen:
    »Aus Hammam sind deine Eltern. Allah kerim, bir! Gott ist gnädig, Junge! In Hammam kenne ich jeden Menschen. Was für ein Geschäft haben sie?«
    Haik begegnete den forschenden Augen des Bauern mit gekränkter Nachsicht:
    »Aber Vater, ich habe dir doch gesagt, daß sie erst seit gestern dort sind. Sie wohnen im Chan Omar Agha …«
    »Janasydsche, mögen sie dort glücklich sein! Aber im Chan Omar Agha ist Einquartierung. Die Soldaten, die gegen die verräterischen Ermeni auf dem Musa Dagh gesandt werden …«
    »Was sagst du? Einquartierung? Davon haben die Meinigen nichts gewußt. Vielleicht aber ist das Militär schon abgezogen. Nun, Hammam ist groß und es wird auch noch andre Herbergen geben.«
    Dagegen ließ sich wirklich nichts sagen. Der Turkmene, dem es nicht gelungen war, Essad zu entlarven, dachte angestrengt nach, bewegte ein paarmal stumm die Lippen und räumte schließlich das Feld.
    Lang vor Mitternacht schon rüstete sich Haik zum Aufbruch. Vorher aber sorgte er noch für Stephan, so gut er konnte. Er packte ihm eine seiner Fleischwürste in den Rucksack. Gott weiß, vielleicht verirrte sich der Ungeschickte und der Proviant ging ihm aus. Haik aber traute es sich zu, in der Ebene von Aleppo überall Speis und Trank zu finden. Er füllte ferner Stephans Thermosflasche an der Quelle, die am Haus vorüberfloß; er säuberte seine Kleider von dem trockenen Schmutz. Während er mit geradezu erbitterter Sorge um den Kameraden bemüht war, gab er ihm immer wieder genaue Lehren darüber, wie er sich zu verhalten habe:
    »Er bringt dieses Zeug dort zum Wochenmarkt. Du kannst dich sehr gut dazwischen im Wagen verstecken. Am besten, du sprichst kein Wort. Bist ja krank, nicht?! Sobald du die Stadt siehst, springst du ab, aber ganz leise, verstehst du, und legst dich ins Feld, in einen Graben, ein Loch. Dort wartest du, bis alles finster ist … Hast du das kapiert?«
    Stephan hockte verkrümmt auf seiner Matte. Er fürchtete die Koliken, die sich wieder meldeten. Mehr noch fürchtete er die Verlassenheit. Die Nacht war nicht wolkenbewegt wie gestern, sondern makellos klar. Dicht und weiß stand der ungeheure Torbogen der Milchstraße über dem Dache des Turkmenen. Stephan fühlte einen Augenblick lang Haiks Hand in der seinen. Das war alles. Noch einmal vernahm er des Freundes Stimme, hochmütig und grob wie einst:
    »Mach es gut, hörst du, und zerreiß den Brief an Jackson!«
    Haik hatte schon den Fuß auf die Leiter gesetzt, als er noch einmal zu Stephan zurückkehrte. Ohne ein Wort zu sagen, bekreuzigte er ihm rasch und scheu die Stirn und die Brust.
    In Zeiten der Todesnot soll jeder Armenier für jeden Armenier ein Priester und Vater sein. Dies hatte Ter Haigasun im Religionsunterricht zu Yoghonoluk gelehrt, als noch kein Mensch wußte, daß die Zeit der Todesnot schon angebrochen war.
     
    Knapp vor dem Dorfe Ain el Beda bog der Karrenweg in die Ebene ein. Der Turkmene ließ sein Pferdchen frisch durch die völlig leere Frühe laufen. Der hochbeladene Leiterwagen holperte grausam über die tiefen, erstarrten Räderspuren. Stephan bemerkte das schmerzhafte Geratter kaum. Er lag auf seiner Decke zwischen den Schilfbündeln und fieberte. Dieses Fieber war eine Gnade Gottes. Es betäubte Zeit und Raum in ihm. Von matten, aber recht angenehmen Bildern umwirrt, dachte er nicht daran, wohin er getragen werde und was seiner warte. Auch half ihm das Fieber, das seine braungebrannte Haut noch tiefer verfärbte, freundschaftlich beim Simulieren. Immer, wenn der Bauer sein Pferd rasten ließ, vom Bock stieg und sich nach seinem Fahrgast umsah, stöhnte dieser laut und schloß die Augen. Somit führte keiner der zahlreichen Unterhaltungsversuche des guten Turkmenen zu einem nennenswerten Erfolg. Er bekam nur einsilbige Wehlaute zu hören und hie und da die flehentliche Bitte, das Gefährt anzuhalten. Für diesen Fall hatte ihm Haik die notwendige Redensart eingeschärft: »Ben bir az hasta im.« – »Ich bin ein wenig krank.« Und Stephan wiederholte diesen treulichen Satz bei jeder Gelegenheit mit Todesverachtung. Auf diese Weise kam er auch um alle Gebete herum, denn die Kranken und Siechen sind im Islam von jenen religiösen Verrichtungen befreit, die den Körper in Anspruch nehmen. Nachdem sie den kleinen Fluß Afrin auf einer Holzbrücke überquert hatten, schickte sich der Bauer an, Mittag zu halten. Er schirrte sein Pferd ab und hängte ihm den Futtersack um. Auch Stephan mußte

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