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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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gestiegen.
     
    Ter Haigasun hatte an das Friedhofvolk der Dörfer Botschaft gesandt, zum erstenmal wohl seit seiner Amtsführung. Er forderte in dieser Botschaft von Nunik und den Ihren, sie möchten sich in der Umgebung des Musa Dagh auf die Suche nach den Spuren des verschwundenen Bagradian-Sohnes machen. Gelänge es ihnen, wichtige Erkundigungen oder gar den Flüchtling selbst einzubringen, ward ihnen ein hoher Lohn in Aussicht gestellt. Man würde ihnen abseits von der Stadtmulde einen Lagerplatz anweisen. Ter Haigasun handelte äußerst klug, indem er einen solchen Preis auf die Entdeckung Stephans aussetzte. Gabriel Bagradian war der wichtigste Mann auf dem Damlajik. Von der geistigen und seelischen Verfassung des obersten Kriegsbefehlshabers hing die ganze Zukunft ab. Alles mußte geschehen, damit die innere Kraft Gabriels, die durch Juliette den ersten schweren Stoß erhalten hatte, durch das Geschick Stephans nicht völlig gebrochen werde. Der Preis, der diesem Bodensatz der Bevölkerung winkte, war ungeheuer. Und doch hegte Nunik kaum eine Hoffnung, ihn zu gewinnen. Seit dem letzten großen Siege der Armeniersöhne hatte sich die Lage der im Tal Zurückgebliebenen grausam verschärft. Neue Truppen, neue Saptiehs, neue Freischaren trafen fast täglich in den Dörfern ein. Alle Vorkehrungen zu einer straffen Belagerung des Damlajik wurden getroffen. In Stellvertretung des Kaimakams hatte der sommersprossige Müdir in der Villa Bagradian seinen Regierungssitz aufgeschlagen. Auch der verwundete Jüs-Baschi befand sich seit zwei Tagen bereits auf dem Wege der Besserung. Der Müdir hatte in allen Dörfern der Umgebung einen Befehl anschlagen lassen, laut dessen jeglicher Muselman verpflichtet war, jedes armenische Wesen, das ihm vor Augen komme, kurzerhand zu verhaften, und sei es auch ein Bettler, ein Blinder, ein Siecher, ein Irrer, ein Krüppel, ein Greis oder Kind. Dieser sinnreiche Befehl verfolgte den Zweck, alle Spionentätigkeit zugunsten des Berglagers im Tale unmöglich zu machen. Der Anschlag klebte noch keine zwei Tage an den Kirchenmauern und schon war das Friedhofsvolk, das ursprünglich, alle sieben Dörfer zusammengerechnet, aus ungefähr siebzig Köpfen bestand, auf weniger als vierzig zusammengeschmolzen. Der Rest sah sich demnach gezwungen, wollte er noch einige Zeit das Leben fristen, ein ganz und gar unzugängliches Versteck aufzusuchen. Dieses Versteck war, Christus sei Dank, vorhanden. Nur die Tapfersten und Stärksten wie die ahasverische Nunik verließen es zwischen Mitternacht und Morgen, um auf ihren alten Lebens-Orten nach dem Rechten zu sehen und für Nahrung zu sorgen, das heißt, unter allerhöchster Lebensgefahr ein paar Lämmer, Zicklein und Hühner zu stehlen. An diesem Versteck aber führte Stephans Heimweg vorbei.
    Eine Meile etwa vor dem Dorfe Ain Jerab drängen sich die Ruinen des alten Antiochia zu einer ganzen Stadt zusammen. Alles überragen die Pilaster und gebrochenen Riesenbogen der römischen Wasserleitung. Die bisher recht bequeme Straße verengt sich hier zu einem ungenauen Saumpfad, der entlang des tief in die Felsen geschnittenen Flußbettes mitten durch die Steinwildnis des einstigen Menschenwerkes führt. Stellenweise bedecken Quadern, Säulenfragmente, abgebrochene Kapitäle den Weg, so daß er kaum gangbar ist. Stephan strauchelte jeden Augenblick in seiner Fiebertrunkenheit zwischen den gefährlichen Trümmern, verwickelte sich in Schlingwuchs, stürzte, schlug sich die Knie wund, stand auf und taumelte weiter. Rechterhand, tief im Ruinenfeld verborgen, zuckte manchmal der schwache Schein eines Feuers auf. Wäre Haik bei Stephan gewesen, er hätte auch ohne diesen Feuerschein die Nähe der elenden und doch verwandten Wesen auf Meilen vorausgespürt. Überbewußt würde sein Fuß den richtigen Weg gewählt haben. Doch wo mochte Haik zu dieser Stunde sein? Dreißig Schritt abseits von der Straße wartete Stephans die Rettung, die sogar noch durch ein mahnendes Feuer kenntlich gemacht war. Nunik, Wartuk, Manuschak hätten Stephan gut versteckt, einen Tag und eine Nacht lang gepflegt, dann aber auf den sicheren Wegen ihrer Erfahrung auf den Damlajik gebracht, um den großen Lohn einzuheimsen. Der Stadtjunge aber fürchtete sich vor dem Feuer. Gehetzt keuchte er den ansteigenden Weg empor. Auf der Höhe blieb er stehen und trank in einem Zuge die Flasche mit dem schalen warmen Wasser aus. Der Musa Dagh lag vor ihm. Deutlich war im Mond die dicke schwarze

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