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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Brandwolke zu bemerken, die noch immer aus der Brust des Berges emporqualmte. Der Flammenherd jedoch schien klein geworden zu sein, da ihm kein Wind Leben gab. Dann und wann glomm ein geheimnisvolles Glutherz auf und verschwand wieder.
    Da wurde dem Bagradiansohn noch eine Chance gegeben. Nunik hatte etwas gewittert. Vom Feuer wegtretend, nahm sie einen eiligen Schatten wahr, der nicht der Schatten eines Mannes sein konnte. Unter dem elenden Volke gab es auch ein paar »herrenlose Kinder«. Eines dieser Kinder, freilich ein achtjähriger Junge nur, wurde ausgeschickt, um den Schatten zu erkunden. Als aber Stephan es hinter sich bröckeln und rascheln hörte, drehte er sich nicht um, sondern begann wie ein Wahnsinniger weiterzulaufen. Sein ganzes Wesen straffte sich in diesem Lauf wie in einem Verzweiflungsakt. Es brauste in seinen Ohren. Waren es Papas Zurufe? War es Haiks zischendes »Vorwärts!«? Er rannte, als verfolge ihn nicht ein kleines Kind, sondern jene ganze Kompagnie, der er am Abend entkommen war. Die Ruinen des Aquädukts brachen hier gänzlich ab, der Weg weitete sich. Schwarze Vorberge rückten auf die Straße zu. Stephan lief um sein Leben. Ein grausamer Wahn verführte ihn in das erste Seitental, das er schon für das heimatliche der sieben Dörfer hielt. Der schwerelose Geist der Flucht hob ihn über sich selbst hinweg, so daß er wie ein Flügelwesen über die steinübersäte Halde zu schweben vermeinte. Stephan bog in das Tal ein, ohne zu wissen, daß er aus Leibeskräften schrie. Doch er kam nicht weit. Über das erste große Hindernis, einen querliegenden Baumstamm stürzend, blieb er liegen.
     
    Als er halb und halb zu sich kam, war der Tag schon da, im nebligen Frühlicht. Stephan aber glaubte fest, es sei vorgestern, die nämliche Stunde, da er auf der Straße jenseits des Sumpfes von El Amk mit Haik in das gütige Hügelland zum Haus des Turkmenen gekommen war. Alles Spätere hatte er vergessen oder nur als matte Traumempfindung behalten. Diese zeitkranke Vorstellung, es sei jetzt vorgestern, wurde noch durch den Umstand genährt, daß er ein Haus vor sich sah, keines freilich aus weißem Kalkstein, sondern eins aus runzligem Lehm und ein fensterlos-abstoßendes dazu. Und aus diesem Haus trat ebenfalls ein Mann mit Turban und grauem Bart, nicht der bäurische Schutzengel von Turkmenen, aber dennoch ein alter Mann. Und siehe, auch dieser Mann prüfte Wind, Wetter, Weltrichtungen, warf einen kleinen Teppich auf die Erde, hockte sich hin und begann die Beugungen und Wendungen des Morgengebetes zu verrichten.
    Blitzschnell ging Haiks Weisung durch Stephans Kopf:
    Alles nachmachen! Und auf derselben Stelle, wo er in der Nacht hingestürzt war, fing er nun mit seiner Kopie an. Es kam aber dabei nichts andres heraus als nur ein mattes Schwanken und Stöhnen. Auch dieser Mann wurde sofort aufmerksam. Doch, wie es schien, weit weniger fromm als jener turkmenische Bauer, unterbrach er sein Gebet, stand auf und näherte sich Stephan:
    »Wer bist du? Woher kommst du? Was willst du?«
    Stephan zwang seinen Körper in die Knielage, verneigte sich und legte die Hand aufs Herz:
    »Ben bir az hasta im, Effendi.«
    Nach diesen wohlgeübten Worten machte er das Zeichen des Durstverlangens. Der Graubärtige zögerte zuerst. Dann aber ging er zum Brunnen, schöpfte einen Krug voll und brachte ihn dem Knaben. Stephan trank unersättlich, obwohl ihm das Wasser sogleich Schmerzen verursachte. Indessen war noch jemand aus dem Hause getreten, nicht hilfsbereite Frauen, wie Stephan erwartete, sondern ein andrer Mann, ein mißgelaunter, schwarzbärtiger. Er wiederholte genau die Fragen des Grauen:
    »Wer bist du? Woher kommst du? Was willst du?«
    Der Verlorene machte zwei Bewegungen in unbestimmter Richtung. Sie konnten sowohl Antakje wie auch Suedja bedeuten. Der Schwarze wurde ärgerlich:
    »Kannst du nicht reden? Bist du stumm?«
    Stephan lächelte ihn aus seinen riesengroßen Augen an, hilflos wie ein dreijähriges Kind. Er kniete noch immer vor den beiden Männern. Der Graue ging zweimal um ihn herum, als betrachte er mit Kennerernst eine geleistete Arbeit. Dann nahm er den Knaben beim Kinn und drehte seinen Kopf ins Licht. Auch der Schwarze beteiligte sich eingehend an dieser Prüfung. Nachher gingen sie ein paar Schritte zur Seite und redeten streitbar miteinander, ohne jedoch Stephan aus den Augen zu lassen. Als sie mit ihrer Auseinandersetzung fertig waren, hatten sie die Gesichter von Menschen bekommen,

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