Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Sie rügten den Lehrer wegen seiner dummen Ansprache. Schatakhian drückte sich an den Büchern vorbei ans Lager. Er legte prüfend seine Finger an das entstellte Handgelenk Krikors:
    »Hast du große Schmerzen?«
    Es klang so, als lege der Apotheker in seine Worte eine doppelte Bedeutung:
    »Wenn du mich anrührst, hab ich große Schmerzen.«
    Der Lehrer hockte sich neben den Kranken hin:
    »Ich werde diese Nacht bei dir bleiben. Es ist besser so … Du könntest vielleicht etwas brauchen …«
    Krikor aber schien für die Nacht durchaus keine Gesellschaft zu wünschen:
    »Ich brauche gar nichts … Es ist bisher sehr gut gegangen … es wird heute auch noch gehn … Du kannst dich schlafen legen, Lehrer …«
    »Aber ich möchte gern noch bleiben, wenn es dich nicht anstrengt …«
    Krikor sagte nichts. Er war mit seinem Atem beschäftigt. Der Lehrer aber wurde wehmütig:
    »An die schönen Zeiten denk ich, Apotheker, an unsre Spaziergänge und an deine Reden …«
    Krikors tiefgelbes Mandarinengesicht lag regungslos da. Er sprach mit einer hauchigen Kopfstimme. Sein Bocksbärtchen bewegte sich nicht:
    »Das war alles nicht viel wert …«
    Durch diese Abwehr aber wurde Schatakhians Sentimentalität erst recht entfesselt:
    »Das war sehr viel wert … Für mich, für uns … Du weißt ja, daß ich in Europa gelebt habe, Apotheker. Ich kann sagen, daß mir die französische Kultur in Fleisch und Blut übergegangen ist … Man sieht und hört und lernt tausend Dinge dort, Vorträge, Konzerte, Theater, Bilder, Cinéma … Siehst du, das warst du alles für uns in Yoghonoluk, und mehr als das … Die ganze Welt hast du uns gebracht und erklärt … Oh, Apotheker, was hätte in Europa aus dir werden können!«
    Dieser Ausruf ergrimmte Krikor sichtlich. Hochmütig hauchte er:
    »Ich bin ganz zufrieden … wie es ist …«
    Lehrer Schatakhian wurde plötzlich kleinlaut. Minutenlang fand er keinen Gesprächsstoff. Dann aber verfiel er auf einen jener kindischen Scherze, wie man sie mit Sterbenden zu machen pflegt, um ihnen ihr Los zu verhüllen:
    »Was für ein feierliches Nachthemd du dir angezogen hast, Apotheker! In ein paar Tagen, wenn dus ausziehst, wird es schmutzig und zerknittert sein. Dann mußt du dir ein neues schenken lassen, denn so etwas gibt man doch nicht in die Wäsche …«
    »Es wird nicht zerknittert und schmutzig sein«, sagte der Apotheker und Schatakhian erinnerte sich daran, wie unkörperlich Krikors Körper immer gewesen war. Er wünschte sich, daß der Kranke jetzt einschlafe, denn die wache Gegenwart dieses Geistes bedrückte ihn. Und wirklich, Krikor schien ihm trotz seiner offenen Augen diesen Gefallen tun zu wollen. Es verging fast eine halbe Stunde, ehe er mit jener sonderbaren Falsettstimme wieder anhob:
    »Lehrer! Anstatt Dummheiten zu reden, könntest du etwas Gescheites tun … Geh dort zu dem Brett mit der Apotheke … Siehst du die runde schwarze Flasche? Daneben steht ein Glas … Schenk es voll!«
    Schatakhian, glücklich einen realen Auftrag erhalten zu haben, gehorchte und brachte das große, bis zum Rand gefüllte Glas, das weithin nach Maulbeerschnaps duftete:
    »Da hast du dir aber die richtigste Medizin verordnet, Apotheker.«
    Er schob seinen Arm unter Krikors Kopf, stützte ihn auf und führte das Glas an seinen Mund. Der Weise von Yoghonoluk leerte es in langen Zügen, so wie man Wasser trinkt. Keuchend fiel er zurück. Nach einer Weile aber bekam sein Gesicht Farbe und in seine Augen trat spöttische Lustigkeit.
    »Das ist … gegen den Schmerz … Jetzt aber muß ich allein sein … Geh schlafen, Schatakhian …«
    Der Gesichtsausdruck und die belebtere Stimme des Kranken beruhigten den Lehrer:
    »Ich werde morgen zu dir kommen, Apotheker, sehr früh …«
    »Ja, komm morgen … so früh du willst … Jetzt aber könntest du noch die Lampe auslöschen … Es ist schon das letzte Petroleum … Dort meine kleine Kerze … zünde sie an … Stell den Leuchter auf die Bücher hinauf … so … Das ist alles … geh schlafen, Schatakhian …«
    Als der Lehrer schon hinter der Büchermauer war, zögerte er noch einmal, drehte sich um und schaute seinen Meister an:
    »Ich würde mich an deiner Stelle wegen des Oskanian nicht kränken, Apotheker, wir haben ihn ja immer erkannt …«
    Der letzte Rat Schatakhians war völlig überflüssig. Der Apotheker lebte jetzt in einer Welt der tiefsten Ruhe, in der lächerliche Figuren wie Oskanian keine

Weitere Kostenlose Bücher