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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Gras mit seinem Blute färbend. Obgleich seine Wunde nicht sehr schwer war, verlor er die Besinnung. Howsannah kauerte sich zu ihm nieder, hilflos, ratlos, das Kind im Arm. Als Iskuhi das Blut sah, lief sie mit einem Schrei ins Zelt, brachte reine Tücher, eine Schere und kniete neben den Bruder nieder. Jetzt erst raffte sich Howsannah auf und legte den Säugling ins Gras. Sie schnitten Arams Rock auf. Iskuhi preßte das Tuch mit aller Kraft auf die Wunde. Ihre Rechte färbte sich vom Blute des Bruders, der ihr unheilbar fremd geworden war.
    Der Langhaarige, Sato und einige der Deserteure drängten sich über Schuschiks Körper hinweg in das Zelt der Hanum. Juliette hatte, aus bleiernem Schlafe halb erwacht, den Wortwechsel, das Getümmel, die Schreie vernommen. Das Fieber, Gott sei Dank, das Fieber ist wieder da, so glaubte sie verschlagen. Doch auch, als die Gestalten und der Gestank schon das Zelt erfüllten, wich ihre schlaffe Hingegebenheit noch immer keiner Angst. Entweder ist es das Fieber, dann bin ich froh. Wenn es aber die Türken sind, dann ist es am besten jetzt, zwischen Schlaf und Schlaf. Niemand dachte daran, der Hanum etwas anzutun. Sie schenkten der Kranken überhaupt keine Beachtung. Ihnen wars nur um die kulinarischen Schätze zu tun, von denen neidische Sagen umgingen. Sie schleppten den großen Schrankkoffer und das übrige Gepäck vor das Zelt. Dort war auch schon alles andre zusammengetragen worden, was sich im Scheichzelt an Kisten und Koffern gefunden hatte. Nur Sato und der Langhaarige hielten sich länger bei Juliette auf, dieser, weil er auf eigene Faust etwas Brauchbares zu finden hoffte, jene aus Neugier und Bosheit. Da ihr nichts Grausameres einfiel, riß sie plötzlich die Bettdecke von Juliette fort. Der Mann sollte die Blöße der Fremden sehn! Der aber hatte sich inzwischen einen großen Schildpattkamm zum Andenken ausgewählt, wohl mit Rücksicht auf sein langes, verklebtes Haar. In den Anblick dieser Beute versunken, trollte er sich aus dem Zelt, ohne die Frau anzutasten. Draußen hatte die Bande schon den Inhalt der zahlreichen Gepäckstücke um und umgewühlt. Wieder lagen Juliettens Kleider und Wäschestücke ringsumher wie damals bei der Entehrung durch die Saptiehs in Yoghonoluk. Einzelweise waren die Lack-, Atlas-, Goldkäferschuhe und dünnen Stiefelchen dazwischen gestreut. Doch nicht nur Kleider und Wäsche; in Scherben häufte sich das Tafelgeschirr und die Gläser ringsum, alles was man mit Mühe auf den Musa Dagh geschleppt hatte. Die Ausbeute der Räuber aber war lächerlich: Zwei Sardinenbüchsen, eine Dose mit Kondensmilch, drei Schokoladetafeln, eine Blechschachtel mit Biskuitbröseln. Das konnte ja nicht alles sein. Zum dritten Zelt, rasch! Sato gestikulierte. Da aber näselte die kleine Glocke vom Altarplatz herüber, zum Bittgottesdienst rufend. Das mit der Hauptgruppe verabredete Zeichen lud zum zweiten Teil des Tagewerkes ein. Man mußte sich beeilen, um zurecht zu kommen. Jeder raffte irgend etwas zusammen, um nicht leer auszugehen, Löffel und Messer, eine Schüssel, eine Karaffe, ja selbst ein Paar Frauenschuhe.
    Iskuhi und Howsannah hatten die Blutung der Wunde mit Tüchern erstickt. Der Pastor war zu sich gekommen. Unendlich erstaunt sah er aus. Er konnte nicht begreifen, welch ein verwirrter Mann in ihm getötet worden war. Nun durfte er in der Volksgemeinschaft verharren. Nun zwang ihn sein Trotz nicht mehr, die große Sünde der Absonderung von neuem zu begehn. Vergossenes Blut! Und dieses vergossene Blut war die Gnade, die ihn vor der nichtbestandenen Prüfung bewahrte. Er sah Howsannah. Mit Grasbüscheln rieb sie sich die Hände rein, damit das Wickelkissen des Kindes nicht blutig werde. Aram Tomasian wunderte sich, daß unter seinen Kopf eine Menge von Decken und Kissen geschoben war, so daß er beinahe aufrecht saß. Iskuhi preßte noch immer mit ihrer rechten Hand die Kompresse gegen seine Wunde, wodurch sie zugleich verhinderte, daß er auf den Rücken zu liegen kam. Ihr abgezehrtes Gesicht war von der unsäglichen Anstrengung ganz verzerrt. Aram wandte den Kopf ab und sagte »Iskuhi« und fünf- und sechsmal nichts als seufzend »Iskuhi«. Der Name klang wie ein zärtliches Verzeihmir.
     
    Der Sakristan läutete wie ein Toller die kleine Glocke, die neben dem Altar an einem Mast tanzte. Dieses heischende Geläute war gar nicht notwendig, denn die Gemeinde der Alten, der Frauen und Kinder war schon längst auf dem Altarplatz versammelt. Unter

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