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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nichts weiter Erstaunliches, es sei denn, daß einige von ihnen die türkischen Beute-Bajonette auf ihre Gewehre gepflanzt hatten. Aber man sah ja immer wieder die Zehnerschaften in geschlossenen Zügen vorüberziehen, wenn sie von der Ablösung aus den Stellungen kamen oder zur Ablösung in die Stellungen marschierten. Heute besonders, da die Schüsse im Norden nicht verstummen wollten, hatte eine Rotte von Bewaffneten nichts Auffälliges. Als Aram Tomasian vor Iskuhis Zelt trat, begann sich die Sache schon zu entwickeln. Und doch sah er eine ganze Weile lang mit der größten Gleichgültigkeit dem Vorgang zu. Sein Sinn, von dem eigenen unverzeihlichen Beginnen umwölkt, vermutete irgend einen Befehl Bagradians, der von diesen Kämpfern dort ausgeführt werden sollte. Was aber ging ihn, der sich von dem Volke schon gelöst hatte, die Verteidigung des Damlajik noch an?
    Witwe Schuschik jedoch hatte schärfere Augen. Mit ihrer großen Gestalt füllte sie den Zelt-Eingang völlig aus. Sofort erkannte sie, was sich hinter Satos Getue verbarg, hinter dieser vertrackten Zeichensprache, die immer wieder auf das Zelt der Hanum wies. Schuschik stellte sich breitbeinig hin und öffnete die Arme, bereit, alles Böse mit ihrem eigenen Leib abzufangen. Der Langhaarige löste sich aus dem Knäuel:
    »Wir sind geschickt, um den Proviant abzuholen, den ihr noch immer hier bei euch habt.«
    »Ich weiß von keinem Proviant …«
    »Du wirst schon davon wissen. Die silbernen Büchsen, mein ich, mit den Fischen, die in Öl schwimmen, die Weinkrüge und die Haferflocken.«
    »Ich weiß von keinem Wein und keinen Haferflocken. Wer schickt dich?«
    »Was geht das dich an? Der Kommandant!«
    »Der Kommandant soll selbst kommen.«
    »Also weg da! Ich warne dich zum letztenmal, dummes Weib! Länger werdet ihr da drin nicht auf eurem Fraß hocken. Der kommt uns zu!«
    Schuschik sagte nichts mehr, sondern verfolgte mit Blick und Hand eines Ringers die Bewegungen des Langhaarigen, der sein Gewehr fortgeworfen hatte und den besten Ausfallspunkt suchte. Als er sich dann von links her auf die Frau stürzte, hatte sie ihn schon mit Untergriff um die Hüfte gefaßt, hob den Schmächtigen mit eisernen Händen hoch und schmiß ihn unter den Haufen; so daß er zwei Männer mit sich umriß. Und dann stand sie wieder ruhig da, die Riesin, ohne daß ihr Atem schneller ging, die Arme lauernd geöffnet, um den nächsten Kunden zu empfangen. Ehe aber Schuschik ihren Tod noch ahnen konnte, war es schon um sie geschehn. Ein tückisch von der Seite geführter Kolbenhieb hatte ihr den Schädel zerschmettert. Sie starb blitzschnell, auf der Höhe ihres Glücks, denn noch in diesen Kampfsekunden war ihr Wesen nur von einem einzigen Gefühl erfüllt: Haik wird leben. Zu Boden stürzend, versperrte sie mit ihrer Leiche den Weg zu der unseligeren Mutter Stephans. Jetzt erst begriff Pastor Aram, was vorgegangen war. Aufschreiend, mit hoch erhobenem Stock, flog er auf die Rotte zu, die in diesem Augenblick, durch den Mord abgekühlt, scheu auseinanderwich. Nun hätte Tomasian seine ganze persönliche Macht ins Spiel werfen müssen. Er war der Pastor und einer der obersten Führer. Zwei kurze Befehlsworte in den Haufen geschleudert und dann mit raschem Griff das Gewehr des Langhaarigen vom Boden gepackt! Nicht wenige Augen harrten neugierig, ob diese Autorität sie bändigen werde. Aram aber, seiner Seelenkräfte längst nicht mehr Herr, tat das Verkehrteste. Er fuhr mitten unter das Rudel, mit seinem lächerlichen Stock blind und sinnlos um sich schlagend. Die Antwort war ein Bajonettstich, der ihn unterhalb der rechten Schulter in den Rücken traf.
    Was ist das, dachte er, und was habe ich eigentlich mit all diesem Zeug zu schaffen? Ich bin ein Mann Gottes, das Wort ist mir auferlegt, sonst nichts. Überlassen wir diese fremden Leute sich selbst. Der Stock war ihm aus der Hand gefallen. Doch seiner geistlichen Würde voll bewußt, richtete er sich hoch auf, machte kehrt und ging mit steifen Schritten den Weg zurück. Ah, die Frauen dort! Nun? Hat sich Iskuhi doch endlich zum Gehorsam entschlossen? Warum aber ist sie weißgekleidet? Ja, man wird wieder in freundlicher Gemeinschaft leben, wie in Zeitun. Howsannah muß das einsehn. Der Weg zu dem dritten Zelte dehnte sich ungemein lang. Der Pastor lächelte seiner Frau aufmunternd zu. Diese aber schien mit Schreckensaugen über ihn hinwegzublicken. Knapp drei Schritte von ihr entfernt, brach Aram zusammen, das verdorrte

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